Das Kabinett war am 16. Oktober versammelt, um über die durch die
Note des Präsidenten geschaffene Lage zu beraten. Solf war ganz
gebrochen. Das Furchtbarste an der Note sei der Ton; so spräche nicht
ein Mann, der einen Rechtsfrieden anstrebe, sondern das Haupt eines
Bundes, der unsere Vernichtung will.
Haußmann berichtete über die öffentliche Stimmung. Die Note
Wilsons habe wie eine Bombe gewirktz erst jetzt begriffe die Bevölkerung
den ganzen Ernst der Lage, denn Wilson spreche wie einer, der die mili-
tärische Kapitulation Deutschlands erwarte. Man sei bestürzt über den
scharfen Hinweis auf die Kaiserfrage. In Berlin werde über die Ab-
dankung diskutiert.
Er fuhr dann fort: Die Frage, ob Wilson die Abdankung des Kaisers
oder nur die konstitutionelle Monarchie verlange, sollte gründlich ge-
prüft werden. Dabei müsse sich der Monarch die Frage vorlegen, ob er
die eingeleitete Ambildung selbst vornehmen oder durch seinen Sohn oder
Enkel vornehmen lassen wolle. Der Reichskanzler müsse auch diese Frage
mit dem Monarchen besprechen. Er, Haußmann, halte es für genügend,
die streng konstitutionelle Monarchie mit dem jetzigen Träger der Krone
einzuführen.
Scheidemann widersprach sofort der Auffassung, daß Wilsons Worte
auf die Abdankung des Kaisers zielten. Wilson käme es gar nicht darauf
an, den Kaiser abzusetzen, sondern ihn in eine Stellung zu bringen wie die
Könige von Italien und Belgien oder die nordischen Länder.
Auch ich hatte damals den Eindruck, daß die Worte: „Vernichtung
jeder willkürlichen Macht“ mit Sorgfalt gewählt waren und nur be-
zweckten, Deutschland auf dem Wege der Verfassungsreformen vorwärts
zu treiben.
Wir alle empfanden die Sinnlosigkeit, die darin lag, in diesem Augen-
blick an unserer Verfassung zu bessern. Die Flandernfront war im Ein-
stürzen, und wir verhandelten über den Art. 11 (Zustimmung des Reichs-
tags zur Kriegserklärung). Dem inneren deutschen Bedürfnis war Ge-
nüge getan durch die Bildung einer Regierung, die sich auf die Mehr-
heit des Reichstags stützte.
Gröber hielt die Vorlage des veränderten Art. 11 für eine befrie-
digende Antwort auf Wilsons Forderung nach Ausschaltung der „frieden-
störenden Macht“, verwahrte sich aber dagegen, daß wir in Deutschland
vorher eine Willkürherrschaft gehabt hätten. Ohne Kriegskredite hätte
der Kaiser nie Krieg führen können.
Hier widersprach Scheidemann, aber mehr aus taktischen Gründen
mit einem besorgten Seitenblick auf die Anabhängigen, denen gegenüber
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