daß der Belagerungszustand in dem Geist gehandhabt wird, in dem ich
die Leitung der Reichsgeschäfte übernommen habe und sie durchzuführen
entschlossen bin.
„Auf meinem Programm vom 5. Oktober stand auch die Begna-
digung der Personen, die wegen politischer Verbrechen oder Vergehen,
besonders im Zusammenhang mit Arbeitseinstellung, Straßenkund-
gebungen oder ähnlichen Vorfällen verurteilt sind. Eine weitgehende
Amnestie dieser Art ist beim Kaiser und sämtlichen Bundesregierungen
angeregt und in Ausführung. Schon haben Verurteilte in großer Zahl
ihre Freiheit wiedergewonnen. Manchen von ihnen hat die Regierung
die Gnade erst nach Aberwindung ernster vaterländischer Sorgen ver-
mittelt. Die #berzeugung von der Heilkraft einer Politik des Ver-
trauens hat den Ausschlag gegeben.
„Allen Schritten auf der neuen Bahn, die ich Ihnen hier aufzählen
durfte, haben alle verfassungsmäßigen Instanzen einmütig zugestimmt;
sie haben sich damit auf den Boden der von mir und meinen Mit-
arbeitern vertretenen Regierungsart gestellt. Wenn auch Sie, meine
Herren, woran ich nicht zweifele, den Vorlagen beipflichten, die auf
der Tagesordnung stehen, wird die Volksregierung fese in den Reichs-
gesetzen verankert sein.
„Ich weiß, meine Herren, der Rückblick auf die innerpolitische Ernte
der denkwürdigen drei Oktoberwochen löst sehr verschiedene Stimmungen
in Ihnen aus. Dem einen wird er als die Schilderung eines unbesonnenen
Laufs auf der schiefen Ebene erscheinen, die zum AUmsturz der bestehenden
Ordnung führt, dem anderen als ein unsicheres, zögerndes Tasten nach
der neuen Staatsform. Beide Stimmungen mögen ihren Ausdruck
finden; das ist das Recht und die Aufgabe der Opposition, die wir ge-
rade für die Anabhängigkeit des Parlaments brauchen. Wer frei von
der Verantwortung ist, der ist frei in der Kritik. Beiden gegenüber stelle
ich für die Regierung der Reichstagsmehrheit fest, daß meine Kollegen
und ich sowohl im Ziel als in der Art, in der wir ihm nachstreben, völlig
einig sind. Das Ziel ist die politische Mündigkeit des deutschen Volkes.
Mir und meinen Mitarbeitern steht es vor Augen unverrückt als Leitstern.
Die einzelnen Mitglieder der Regierung gingen ursprünglich von ver-
schiedenen Ausgangspunkten aus; sie verfolgen aber das gemeinsame
Ziel mit derselben Treue, und deshalb haben ihre Wege immer näher
zueinander geführt.
„Das deutsche Volk sitzt seit langem im Sattel, nun soll es reiten.
Unser Volk hatte schon längst eine Reihe von Rechten, um die es
mancher politisch reife Nachbar beneidete. Die deutsche kommunale
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