müssen die angedrohten Bedingungen in allen Einzelheiten
hören, dann ist der Bruch mit Wilson nötig und möglich.
Scheidemann stand ganz unter dem Eindruck der häßlichen Szenen, die
sich bei den Aushebungen abspielten. Die Menschen, die man aus den
Fabriken hole, seien Revolutionäre — die „levée en masse“ sei heute un-
möglich — „Liebknecht ist von Soldatenmit dem Eisernen Kreuz
auf die Schultern gehoben worden. Werhätte dasnochvordrei
Wochen für möglich gehalten !“—Daswar dererschrockene Aufschrei
eines Führers, der sich plöglich verlassen sieht. Nicht nur die Sozialdemo-
kraten waren am Verzagen: Erzberger machte die erschütternde Mit-
teilung, die Zentrumsfraktion habe sich einstimmig gegen die
nationale Verteidigung erklärt.
Der Kriegsminister gab die Ausschreitungen bei den Truppentransporten
zu — jetzt würden nur noch Arbeiter eingezogen, die noch nicht draußen
waren —, aber an der Westfront kräftige sich der Widerstand. Die Truppen
seien zahlenmäßig schwach und müde, aber hielten gut aus. „Wenn wir
Truppen in NRuhe bringen könnten, dann wäre viel gewonnen.“ Der
General Ludendorff halte die Front für fähig, weiter standzuhalten, und
sei für den Abbruch der Verhandlungen.
Graf Roedern verwies auf die anderen Kriegsschauplätze, besonders
auf die neu entstehende Balkanfront. Es stand zu erwarten, daß die Fran-
zosen und Engländer sich nach schneller Mattsetzung der Türkei, wahr-
scheinlich im Bunde mit Rumänien, gegen Angarn wenden würden, wo
der neuernannte Ministerpräsident Karolyi bereit war, sie mit offenen
Armen aufzunehmen. — Schon war die Olzufuhr aus Rumänien gesperrt.
Hier konnte Scheüch die eine Beruhigung geben, daß es um die grund-
legende Olfrage besser stehe. Nachdem das Kriegsministerium die Hand
auf die Bestände der Marine gelegt habe, seien wir bis zum 1. April
1919 für Heer und Marine mit ÖOl gedeckt. Aber den 1. April
hinaus könne die Eisenbahn und Industrie befriedigt werden.
Die Mehrzahl der Staatssekretäre war der Auffassung: wir dürften
Wilson nicht so antworten, daß wir auf das Weiterkämpfen festgelegt
wären. Zur Beurteilung der Kriegslage genüge das Gutachten des Generals
Ludendorff nicht, er habe Zeichen innerer Unsicherheit gegeben. Aber die Not-
wendigkeit, alsbald andere Heerführer zu hören, waren sich heute alle einig.
1 In der Dressekonferenz am 25. Oktober wird mitgeteilt, daß eine französische
Division auf Widdin unterwegs sein solle, eine englische nach der Dobrudscha, fünf
englische über Sofia und Philippopel nach der türkischen Grenze. Die Kriegsgeschichte
des „Manch. Guardian“ gibt an, daß schon am 20. Widdin besetzt war, und sagt: Der
Vormarsch wäre ermöglicht worden durch die Benutzung der bulgarischen Straßen.
400