Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

müßten. Da habe Ludendorff wieder mit seiner Demission gedroht, der 
Widerspruch des Feldmarschalls sei dagegen weniger entschieden gewesen. 
Die Konferenz endete um Mitternacht ohne Ergebnis. Der General Luden- 
dorff teilte Herrn v. Payer noch streng vertraulich mit, daß die Truppen 
teilweise schon zurückgegangen seien, als der Gegner noch 800 Meter ab 
war, und daß einer auserlesenen Radfahrbrigade beim Vorgehen von 
zurückkehrenden Truppen zugerufen worden sei: „Streikbrecher". 
Während ich dem Bericht des Vizekanzlers zuhörte, stürzte Haeften 
in großer Erregung in mein Zimmer: „Der General Ludendorff ist ent- 
lassen.“ — „Und Hindenburg?“ — „Der bleibt.“ Da sprangen die Herren 
auf: „Gott sei Dank.“ 
Der General Ludendorff ist am 26. Oktober früh nicht unvorbereitet 
zum Kaiser gegangen. Ich hatte den Gertreter der Obersten Heeres- 
leitung absichtlich nicht instruiert, um ihm Gewissenskonflikte zu ersparen. 
Als aber Haeften früh am Morgen in mein Adjutantenzimmer gekommen 
war, hatte er von dem in der Nacht unternommenen Schritt gehört und 
war sofort zu seinem Herrn geeilt, um ihn zu warnen, „damit sich die letzte 
Szene in möglichst würdiger Form abspiele". Er hat Ludendorff noch er- 
reicht, ehe die Abfahrt nach Schloß Bellevue erfolgte.1 
Der General Ludendorff und seine Getreuen, gerade auch Haeften, haben 
nie begriffen, daß man den Sieger von Tannenberg für entbehrlich halten! 
konnte. Die Undankbarkeit des Kaisers, des Volkes, des Kanzlers, ja 
des Feldmarschalls, dessen patriotisches Opfer er nicht verstand, haben 
den General Ludendorff mit unsäglicher Bitternis erfüllt, und er hat sich 
von diesem Tage nie erholt. 
Ich bat um seinen Besuch, Ludendorff kam nicht. Ich hätte ihn gern 
gesehen, um ihm das zu sagen, was auch heute noch meiner Aberzeugung 
entspricht: die schwersten Anterlassungssünden der vergangenen Jahre 
kommen nicht auf sein Schuldkonto; er hat weniger vergewaltigt, als daß 
man sich vor ihm geduckt hat; das hat man auch in Augenblicken getan, da 
er sich danach sehnte, eine politische Führung über sich zu haben. Für mich 
bleibt er der große Feldherr und Mensch bis zum 29. September. An 
jenem Tage hat er einen tragischen Zusammenbruch erlebt: seines Ver- 
trauens zum Heer, seines gesunden Sinnes, seiner Nerven. Nur sein 
Prestigegefühl stand aufrecht und verhinderte ihn daran, vor seinen 
Kaiser zu treten und zu sagen: „Magna clade victus sum.“ Ich will 
meinen Abschied, oder ich fordere zum mindesten, daß andere Generale 
gehört werden, ehe wir uns an den Feind wenden. 
1 WBgl. Ludendorff, Erinnerungen, S. 616 f. 
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