Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

mir eine schwere Versäumnis vorzuwerfen. Ich hatte den Kaiser wohl über 
die ungünstige Deutung der Wilson-Note informiert, aber sorgfältig ver- 
mieden, ihn zu beraten. Wenn nun der Zeitpunkt schon vorüber wäre, bis 
zu dem die Waffenstillstandsbedingungen noch beeinflußt werden konnten? 
Ich vermochte keine Beruhigung zu finden, auch nicht durch die Berichte 
aus Holland, die zähe an der Behauptung festhielten, Wilson begnüge 
sich mit der Abschaffung des „Kaiserismus"“ und verlange nicht, daß der 
Kaiser abdanke. Ich beschloß, einen Versuch zu machen, in das Wirrsal 
widersprechender Nachrichten Klarheit zu bringen. 
In einer der nordischen Hauptstädte weilte gerade ein junger amerika- 
nischer Diplomat, der bis zum Abbruch unserer Beziehungen zu den Ver- 
einigten Staaten wiederholt in Deutschland gewesen war. Ich hatte ihn 
noch unmittelbar vor seiner Abreise gesprochen, und es stand mir leb- 
haft vor Augen, wie betrübt und enttäuscht er war, daß die Erklärung 
des verschärften U. Bootkrieges die Friedensaktion des Präsidenten zer- 
schlagen hatte. Ich wußte, daß er seinerzeit bis an die Grenzen seiner 
Kompetenzen gegangen war, um eine Fühlung zwischen dem gemäßigten 
England und Deutschland herbeizuführen. Er hatte früher Verständnis 
für unsere Lage gezeigt; vor allem aber bewegte ihn der Glaube an Amerikas 
Sendung: den rechtzeitigen Frieden herbeizuführen. 
So sah er in der Verlängerung des Krieges bis zum vernichtenden 
Siege nicht nur den Ruin Europas, sondern auch die Niederlage seines 
Vaterlandes, insbesondere auch seines Präsidenten, den er für den Heil- 
bringer der Menschheit hielt. Die Verbindung zwischen diesem Herrn 
und meinen näheren Gesinnungsgenossen war nie abgerissen. Er war auch 
heute noch für eine offene Aussprache zu haben. Ich trug daher Hahn auf, 
am 28. Oktober früh nach dem Norden zu reisen, in der Nacht auf den 29. 
den Diplomaten zu sprechen und womöglich mir noch am 29. abends zu 
berichten. Bis dahin wollte ich meinen Vortrag beim Kaiser hinaus- 
schieben. 
Es wurde mir schwer gemacht, an diesem Entschluß festzuhalten. 
Der 27. Oktober war ein böser Tag gewesen: Man hatte so stark das 
Gefühl des Erliegens unter dem Unglück, das ununterbrochen gemeldet und 
vorhergesagt wurde. Da teilte mir Simons noch am Abend einen Vorgang 
aus der Kabinettssitzung mit, der trösten und erheben mußte: Wien hat 
um Wrot gebeten, eine Abordnung ist in Berlin und weist nach, daß die Be- 
völkerung tatsächlich am Verhungern ist. Waldow glaubt, vom Stand- 
punkt der eigenen Ernährungslage, nich ts abgeben zu könnenz; er be- 
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