Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

fürchtet einen schlechten Eindruck auf deutsche Arbeiterkreise; über politische 
Rücksichten will er nicht entscheiden; wir könnten höchstens mit zehn bis 
zwölftausend Tonnen aushelfen, das würde für Wien etwa vier Wochen 
ausreichen, aber wir würden sie sicher entbehren. Payer erklärt es für 
selbstverständlich, daß wir die Verantwortung übernehmen. Da kann 
Scheidemann mitteilen, die Sozialdemokratische Partei habe es mit allen 
gegen zwei Stimmen gut geheißen, daß man den Österreichern mit 
Lebensmitteln ausbelfe. „Wir können dies den Arbeitern gegenüber ver- 
antworten.“ Das Kabinett beschließt daraufhin einstimmig, daß Wien 
und den Deutsch-Böhmen zehn bis zwölftausend Tonnen Getreide ge- 
liefert werden. 
Dieses Zeugnis sollte nicht aus der Geschichte ausgelöscht werden. Es 
hat ein anderes Gewicht als der Paragraph 80 des BVersailler Vertrags 
und die taktischen Erwägungen überkluger Politiker. Mir ist es nie so klar 
geworden wie an diesem Tage, daß wir und die Deutsch-Osterreicher ein 
Volk sind und ein Land werden müssen. 
Am 28. Oktober ließ sich General v. Chelius in dringender Angelegen- 
heit bei mir melden. Er sei von Brüssel nach Berlin gekommen, um mir 
Vortrag zu halten. Ich empfing ihn am Nachmittag. Mit allen Zeichen 
innerer Erregung sagte er mir, daß er es in Brüssel nicht länger aus- 
gehalten hätte; er müsse mit mir über die Frage der Abdankung des 
Kaisers reden. Er legte mir eine Reihe von Berichten vor, die der Chef 
der politischen Abteilung beim Generalgouverneur in Belgien, Gesandter 
v. d. Lancken, abgefaßt hatte; sie fußten auf Informationen eines ameri- 
kanischen Vertrauensmannes, der bisher den Inhalt jeder Note des Präsi- 
denten Wilson genau vorausgesagt habe. Jetzt nun erkläre der Vertrauens- 
mann mit einer verblüffenden Sicherheit, ohne die Abdankung des Kaisers 
würde der Krieg weitergehen oder Deutschland einen furchtbaren Waffen- 
stillstand und ebenso einen furchtbaren Frieden erhalten. 
General v. Chelius war lange Jahre Flügeladjutant gewesen: jedes 
Wort, das er über die Lage des Kaisers sagte, rang er sich ab; aber er be- 
stand darauf, daß Seine Moajestät das große Opfer bringen müsse, um die 
Dynastie und das Land zu retten. 
Ich bat den General, sofort zum Hausminister Grafen August Eulen- 
burg zu gehen und durch seine Vermittlung, womöglich unterstützt von 
ihm, Seiner Majestät seine Meinung vorzutragen. Mir lag daran, daß 
Männer, die der Kaiser als seine persönlichen Freunde und die Stützen 
seines Thrones ansah, ihm zuerst den ehrenvollen Ausweg wiesen. 
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