Der Gegner tut nicht sein Letztes, um seine Äberlegenheit
auszunützen; dabei werde er jetzt sehr gut geführt. Der Franzose sei deut-
lich geschwächt, seine Einheiten verringerten sich; der Engländer sei zahlen-
mäßig besser dran, aber sein Offensiowille sei stark gesunken; der Ameri-
kaner sei ein sehr zu schätzender Gegner, habe jedoch auch in seiner An-
griffskraft nachgelassen; er werde aber nach Ergänzung seiner kolossalen
Verluste zu neuen Stößen wieder vorgehen.
Beide Generale waren der Meinung, daß die neue Offensive dem Feinde
teuer zu stehen kommen und ihr Ausgang schließlich auf den Siegestaumel
ernüchternd wirken würde, wenn wir nur durchhielten.
Der General v. Gallwigt glaubte noch an den guten Kern unserer Truppe;
zwar hielt er uns nicht mehr für fähig zu Kampfhandlungen offensiver
Art, wohl aber zur Abwehr. Allerdings herrsche vielfach eine schlechte
Stimmung gegen das Weiterkämpfen, die Drückebergerei habe einen er-
schreckenden Amfang angenommen, besonders in Waldgefechten. „Es
geht in die Tausende."“
Das Waffenstillskandsangebot und die sich anschließenden Verhand-
lungen hätten schlecht gewirkt. („Sollen wir uns eine Minute vor 12
noch totschlagen lassen?") Die Lage der Verwandten in der Heimat
deprimierte die Truppen. Oft kehrten die Leute in schlechterer Stimmung
vom Trlaub zurück, als sie die Front verlassen hatten.
Der General v. Gallwitz beschwor uns, dieser demoralisierenden Wir-
kung der Heimat entgegenzutreten durch einen gewaltigen Appell an die
Nation, der aber nicht allein vom Kaiser ausgehen dürfe. „Erhebliche
Kreise der Armee seien damit einverstanden, daß die neue Regierung die
Sache mit in die Hand nehme.“ Auch General v. Mudra legte das Schwer-
gewicht auf den fehlenden Ersatz und die Abermüdung der Armee: Wenn
nur die Soldaten wieder einmal schlafen könnten, „das ewige Wieder-
einsetzen zum Kampf fresse am Mark der Truppe“. Der Kriegsminister
Scheüch konnte in Aussicht stellen, daß von den zugesagten 600000 Mann
bereits 300000 Anfang November hinausgehen würden.
Haußmann stellte die Frage: „Seien die Generale der Ansicht, daß wir
die Verhandlungen abbrechen und die Volkserhebung organisieren müß-
ten .. . Oder sollten wir erst abbrechen, wenn sie uns unwürdige Bedin-
gungen auferlegen?"“ Gallwitz erwiderte: „Wenn wir Appell an das Volk
richten, dann ist Abbruch der Verhandlungen mit Wilson notwendig,
da es sonst als Farce erscheinen würde. Auch würden wir ja dann auf
feindlichem Boden weiterkämpfen wollen, also das Räumungsangebot
1 Vgl. dagegen Ludendorffs Außerung am 17. Oktober, siehe oben S. 426.
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