Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

schaft begeistern, ohne die eine Volkserhebung ein sinnloses Fiasko werden 
muß. Ich werde in dieser Deutung bestärkt durch Worte, die der General 
v. Gallwitz ein Jahre später schrieb: 
„Eine Voraussetzung für erfolgreiche Leistung weiteren Wider- 
standes war, daß die Führer der Sozialdemokratie es gewollt 
und verstanden hätten, die inzwischen mißleiteten Massen national 
neu zu beleben und zu willigem Mittun anzuregen.“ 
Das Gutachten der Generale gab uns die Verantwortung in ihrer 
ganzen Schwere. Was sie sagten, lief im Grunde darauf hinaus: von 
euch hängt es ab, ob die Front hält oder nicht; kommt aus der Heimat 
der moralische Auftrieb, dann, aber nur dann, kann die Armee sich der 
schlechten Elemente erwehren und genügend lange Widerstand leisten, um 
den Feinden das Ziel der Vernichtung Deutschlands zu verleiden. Der 
Aufruf zur nationalen Verteidigung sollte also die Rettung bringen. Wann 
batte er zu erfolgen? Gallwig dachte über den Zeitpunkt wie ich: nicht jectzt, 
sondern nach dem Eintreffen der entehrenden Bedingungen des Waffen- 
stillstandes. Der General hatte sich mit besonderem Nachdruck an Scheide- 
mann gewandt, gerade wie Ludendorff, als er am 17. Oktober ausrief: 
„Packen Sie das Volk, reißen Sie es hoch. Kann das nicht Herr Ebert tun?“ 
In der Tat, die Sozialdemokraten hielten heute den Schlüssel der Lage. 
Ihre Führer aber glaubten den Boden unter den Füßen zu verlieren. 
Scheidemann war jetzt von der Sorge vor dem Bolschewismus beherrscht, 
die er noch Anfang Oktober als bürgerliche Hysterie zu verspotten geneigt 
war. An diesem 28. Okkober, nach der großen Sitzung, drang er mit Drews 
darauf, die russische Botschaft und ihre Verbindungen auf das schärfste 
zu Überwachen. Ja, Scheidemann war es, der anregte: eine Kurierkiste 
sollte unversehens auf dem Schlesischen Bahnhof entzweigehen, und der 
den Vorschlag machte, gegebenenfalls als Druckmittel die Kohlenliefe- 
rungen nach Rußland zu sperren. In der Parteipresse wurde täglich Alarm 
geschlagen gegen den asiatischen Sozialismus: 
„Wollt ihr aber das deutsche Volk durch Prügel, d. h. durch Diktatur und ge- 
waltsame Unterdrückung fremder Meinung zum Sozialismus erziehen, so sind 
wir gegen euch, denn wir wissen, daß nichts Gutes daraus für den Sozialis- 
mus kommen kann, wenn die Arbeiter nach Junkermanier regieren wollen.“ 
So wurde in der Frage: Reform oder NRevolution? der Trennungs- 
strich mit wohltuender Schärfe gegen die AUnabhängigen gezogen; aber 
in der Kriegspolitik verwischten sich die Gegensätze. 
1 „Preußische Zeitung“ vom 2. August 1919. 
: „Vorwärts“ vom 27. Oktober 1918. 
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