Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

einen Umschwung, wenn die Bedingungen eintreffen würden, an deren 
Furchtbarkeit die Arbeiter nicht glauben wollten. Eine Wahrheit aber stand 
mir drohend vor Augen, als ich die gedrängten Ereignisse dieses Tages 
überdachte: Wenn wir den Verzweiflungskampf verkündeten, und es kam 
aus den Massen die Antwort: die Bedingungen sind nur so schlecht, weil 
der Kaiser nicht abdankt, — dann war der nationalen Verteidigung das 
Rückgrat gebrochen. 
Am Hofe aber schien die Thronentsagung noch gar nicht zur Erwägung 
zu stehen. Wahnschaffe legte mir spät am 28. Oktober den Erlaß Seiner 
Majestät vor, mit dem er die Bekanntmachung der neuen verfassungs- 
ändernden Gesetze zu begleiten wünschte: 
„Eurer Großherzoglichen Hoheit lasse ich in der Anlage den mir zur Ausfertigung 
vorgelegten Gesetzentwurf zur Abänderung der Reichsverfassung und der Gesetze, 
betreffend die Stellvertretung des Reichskanzlers vom 17. März 1878, zur als- 
baldigen Veröffentlichung wieder zugehen. Ich habe den Wunsch, bei diesem für 
die weitere Geschichte des deutschen Volkes so bedeutungsvollen Schritt zum Aus- 
druck zu bringen, was mich bewegt. Vorbereitet durch eine Reihe von Regierungs- 
akten, tritt jetzt eine neue Ordnung in Kraft, welche grundlegende Rechte von der 
Derson des Kaisers auf das Volk überträgt. Damit wird eine Deriode abge- 
schlossen, die vor den Augen künftiger Geschlechter in Ehren bestehen wird. Trotz 
aller Kämpfe zwischen überkommenen Gewalten und emporstrebenden Kräften hat 
sie unserem Bolke jene gewaltige Entwicklung ermöglicht, die sich in den wunder- 
baren Leistungen dieses Krieges unvergänglich offenbart. In den furchtbaren 
Stürmen der vier Kriegsjahre aber sind alte Formen zerbrochen, nicht um Trümmer 
zu hinterlassen, sondern um neuen Lebensgestaltungen Platz zu machen. Nach dem 
Vollbringen dieser Zeit hat das deutsche Volk den Anspruch, daß ihm kein 
Recht vorenthalten wird, das eine freie und glückliche Zukunft verbürgt. Dieser 
Lberzeugung verdanken die jetzt vom Reichstag angenommenen und erweiterten 
Vorlagen der verbündeten Regierungen ihre Entstehung. Ich aber trete diesen 
Beschlüssen der Volksvertretung mit meinen hohen Verbündeten bei in dem festen 
Willen, was an mir liegt, an ihrer vollen Auswirkung mitzuarbeiten, über- 
zeugt, daß ich damit dem Wohle des deutschen Bolkes diene. Das Kaiseramt ist 
Dienst am Volke. 
So möge die Neuordnung alle guten Kräfte freimachen, deren unser Volk be- 
darf, um die schweren Prüfungen zu bestehen, die über das Reich verhängt 
sind, und aus dem Dunkel der Gegenwart mit festem Schritt eine helle Zukunft zu 
gewinnen. 
Berlin, den 28. Oktober 1918. 
VWilhelm I. K.“ 
Die Kundgebung konnte nur gedacht sein als eine Antwort auf den 
Ruf nach Abdankung, der allenthalben laut wurde, und zwar als eine 
Antwort, die sagte: Ich will auf meinem Dosten bleiben und loyal mit 
der Regierung zusammenarbeiten. 
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