Haußmann gab zu, daß man bei der Abdankung Unruhen ins Auge
fassen müsse, aber mit größerer Sicherheit kämen die Unruhen, wenn der
Kaiser nicht abdankte.
Solf verbreitete sich dann ausführlich über die Deutung der Wilson—
Note im Ausland. Aber als Friedberg das Material für nicht schlüssig
genug erklärte, um dem Kaiser die Abdankung daraufhin nahezulegen,
zog auch der Staatssekretär des Außern sich auf die Stimmung der Heimat
zurück und erklärte, aus sicherer Ouelle zu wissen, daß einer der Haupt.-
gründer der Gaterlandspartei sich geäußert habe: Er könne sich den
weiteren Bestand Deutschlands nicht denken ohne die Abdankung des
Kaisers.
So standen sich die Meinungen im Kabinett schroff gegenüber. Immer-
hin wurde auch von den Gegnern des Schrittes die Rechtslage diskutiert,
wie sie eine Abdankung des Kaisers schaffen würde. In der Reichsver-
fassung war keine Regentschaft vorgesehen. Die preußische Verfassung
bestimmte, daß derjenige volljährige Agnat, der der Krone am nächsten
stand, die Regentschaft übernähme und die beiden Kammern zu berufen
habe, damit sie über die Notwendigkeit der Regentschaft beschlössen —
ein Beschluß, der nur anerkennende, aber keine konstituierende Bedeutung
haben würde. Sollte dieser Regent nun automatisch auch im Reich
regieren? Die Juristen waren sich nicht einig. Die einen glaubten, ein
Notgesetz sei erforderlich. Die Mehrzahl bielt es für unzweifelhaft, daß
die Regentschaft im Reich und in Preußen schon nach geltendem Recht
zusammenfalle, da die Verbindung der kaiserlichen Rechte mit der Krone
Preußens in der Verfassung festgelegt sei. Eine einfachere Lösung empfahl
der Staatssekretär Trimborn, gestützt auf das Gutachten des hervorragen-
den Juristen im Reichsamt des Innern Schulz:
Man solle im Reich und in Dreußen keine Regentschaft, sondern eine
Stellvertretung einrichten. Er berief sich auf den Präzedenzfall der Stell-
vertretung des alten Kaisers durch den Kronprinzen nach dem Attentat
Mobilings. Trete der Kaiser nur zugunsten eines Stellvertreters zurück,
so würden alle Schwierigkeiten: Landtag, Vereidigung und Negent.
schaft, wegfallen. Legislatorisch sei die Lösung sehr elegant, praktisch gehe
sie allerdings nicht weit genug.
Erzberger erklärte diesen Ausweg für unmöglich und staatsrechtlich
undurchführbar. Er fürchtete sich davor, daß die Regentschaft im Reich
und in Preußen nicht einheitlich gestaltet würde. Dann würde die Ab-
splitterung der süddeutschen Staaten mit Naturnotwendigkeit kommen.
Bayern sei schon auf dem Wege der Loslösung vom Neich. Letzten Endes
falle die Kaiserkrone, und dann entstehe die Republik.
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