Nach der Sitzung konnte Drews nur mit Mühe die Fassung bewahren:
beim Weggehen brach er auf der Treppe fast zusammen. Ich bat ihn, noch
am Abend dieses Tages ins Hauptquartier zu reisen, um als preußischer
Minister des Innern seinen König über die Stimmung im Lande aufzuklären.
Mir war allerdings bange, wie der streng sachliche Beamte sich in der un-
gewohnten Atmosphäre durchsetzen würde.
Ich suchte daher zu erreichen, daß Graf Lerchenfeld ihn begleitete und
unterstützte. Der bayerische Bundesratsbevollmächtigte war ein Welt-
mann von vollendeter Gewandtheit, und er hätte nicht nur seine, sondern
auch seines Königs Meinung vertreten können. Graf Lerchenfeld war bereit,
aber er erhielt nicht die Erlaubnis seiner Regierung. Ich blieb trotzdem
dabei, daß Drews die ANeise antreten sollte, hoffte aber, daß ihm am
nächsten Tage der Prinz Friedrich Karl nachreisen würde.
Noch spät am 31. Oktober erhielt ich zwei Nachrichten, die geeignet
waren, mich auf dem als recht erkannten Wege vorwärts zu treiben.
Der Unterstaatssekretär David hatte sich einem meiner Mitarbeiter
gegenüber besorgt über das Anwachsen der Agitation gegen die Monarchie
ausgesprochen, jedoch die Worte hinzugefügt: Wenn der Kaiser abdankt,
dann ist der republikanischen Bewegung das Rückgrat gebrochen.
Simons aber berichtete über eine noch bedeutsamere Unterredung, die
er mit dem Abgeordneten Haase herbeigeführt hatte. Haase hatte von der
Abdankung des Kaisers als von einer Sache gesprochen, für die er und seine
Parteigenossen kein besonderes Interesse hätten. Für sie sei das Wesentliche,
daß die nationale Verteidigung nicht zustande kommen dürfe.
Ich mußte an die Worte von Drews denken: „Die Stimmung in den
Massen ist sehr schwankend, ihr Abergang in das unabhängige Lager kann
durch ein einziges kräftiges Schlagwort herbeigeführt werden.“ Es war
verdächtig, daß der Abgeordnete Haase keinen Wert auf die Abdankung
legte. Vielleicht sah er das Zögern des Kaisers sogar mit Schadenfreude.
Welch wirksamere Parole konnte es in diesem Augenblick gegen die natio-
nale Verteidigung geben, als die Hetzrede: Der Kaiser will seine Person
dem Frieden nicht zum Opfer bringen, deshalb muß der Krieg weitergehen.
Am Morgen des 1. November teilte mir Prinz Friedrich Karl mit,
daß er den schweren Gang zum Kaiser gehen wolle. Ich bat Simons, ihn
zu begleiten; die Abreise sollte am Abend erfolgen. Die inzwischen aus
dem Hauptgquartier eingetroffenen Warnungen konnten mich nicht irre
machen; sie drangen auf vielen Kanälen zu den maßgebenden Dersönlich-
keiten in Berlin und plädierten sämtlich auf der Linie des Kriegsministers:
die Armee kann die Abdankung des Kaisers nicht ertragen. Hatte Drews
gesagt, der Aufruf zur nationalen Verteidigung wird taube Ohren im
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