Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

gewalt von der Art war, daß die Massen ebensoviel über ihn vermochten wie 
er über die Massen“. An diesem Sonntagmorgen hatte der „Vorwärts“ 
bereits nicht Order pariert, zum zweitenmal auf Scheidemanns Brief 
an den Kanzler hingewiesen und damit neue Ungeduld ins Volk hinein- 
geworfen: wann wird Scheidemann Antwort erhalten? Vor allem aber 
hatte der Staatssekretär selbst in der Pressesitzung vom 2. seine ganze 
Ohnmacht enthüllt: er hatte von drohenden Putschversuchen gesprochen; 
6000 Handgranaten seien gestohlen worden. Haußmann fragte ihn, warum 
er aufgeregte Ansammlungen von Arbeitern nicht durch Gewerkschafts. 
führer zur Ruhe bringen ließe. Scheidemann erwiderte: „Ehe das „Etwas“ 
geschieht, können wir nicht beruhigen.“ 
Wahnschaffes Worte vermittelten mir noch einen anderen ungewollten 
Eindruck. Die Herren sprachen immer wieder von dem unmittelbar be- 
vorstehenden Abschluß des Waffenstillstandes, und wir rechneten doch 
alle mit Bedingungen, die eigentlich unannehmbar waren. Derjenige, der 
die Abdankung vertagen wollte, mußte innerlich den Glauben auf. 
gegeben haben, daß wir uns gegen irgendwelche Zumutungen auflehnen 
könnten — wenn anders er die unvermeidlich eintretende Lage wirklich im 
voraus durchdacht hatte. 
Ich beschäftigte mich in den ersten Stunden nach meinem Erwachen 
nur mit der Abdankungsfrage und mußte mir schließlich sagen, daß die 
Lage noch hoffnungsloser war als am Abend, da der Prinz von Hessen 
nicht reisen wollte. 
Das Hauptquartier hatte meinen Aberzeugungsversuch nicht nur ab- 
geschlagen, sondern war selbst vorgeskoßen bis in meine nächste Amgebung 
binein. 
Am 3. November abends nahm ich die Geschäfte wieder auf. Simons, 
Wahnschaffe, Prittwizz berichteten mir über alle die umstürzenden Ereig- 
nisse, die sich in den letzten 24 Stunden in der Welt zugetragen hatten. 
Die Türkei hatte den Waffenstillstand am 31. Oktober angenommen, 
den die Alliierten ihr in Beantwortung ihres Sonderschrittes präsentiert 
hatten. Die schmachvollen Einzelheiten lagen jetzt vor: Die Dardanellen 
und der Bosporus wurden für die Feinde geöffnet; die Alliierten erhielten 
das Recht, alle strategischen Punkte, Häfen und Dlätze zu besetzen; Tele- 
graph und Eisenbahnen wurden ihrer Aufsicht unterstellt; alle deutschen 
und österreichischen Militär- und Zivilpersonen mußten innerhalb eines 
Monats entfernt werden. 
1 In Julius Cäsars Bellum Gallicum bezeichnet Ambiorix seine Befehlsgewalt 
mit diesen Worten. 
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