Seine Worte erhielten einen unheimlichen Nachdruck durch den Bericht,
den gleich darauf Staatssekretär v. Mann dem Kabinett und mir persön-
lich erstattete:
Das dritte Geschwader war in Kiel eingetroffen, hatte sich sehr auf.
rührerisch benommen, „Forderungen revolutionärer Natur gestellt“ und
„mit dem Erschlagen von Offizieren gedroht“. Zwischen Mannschaften
des dritten Geschwaders und einer marschierenden Truppe war es zu einem
blutigen Zusammenstoß gekommen: es hatte Tote und Verwundete ge-
geben, der Führer der zuverlässigen Truppe war schwer verletzt worden.
NRitter v. Mann hielt die Lage für sehr ernst; man hätte militärische Hilfe
von Ratzeburg und Lübeck erbeten.
Die Marineleitung war offenbar nicht mehr Herr der Lage: der Staats-
sekretär des Reichsmarineamts bat, auch im Namen der lokalen Behörden,
um den Beistand der Sozialdemokratischen HPartei; d. h. um die Entsen-
dung von Abgeordneten, die beruhigen sollten. In der Redaktion des
„Vorwärts“, so teilte er mit, werde soeben ein aufklärendes Flugblatt
hergestellt. Die Regierung und die Oberste Marinebehörde sollten unter.
zeichnen. Die Kommandostellen wünschten sofortige Verbreitung. „Bei
den Marinemannschaften müsse der Irrtum beseitigt werden, daß die
Offiziere die Absicht hätten, die Flotte zu vernichten, um sie nicht aus-
liefern zu brauchen.“1
1 Das Flugblatt wurde von mir, dem Staatssekretär v. Mann und dem Staats-
sekretär Scheidemann unterzeichnet. Es hatte fokgenden Wortlaut:
Seeleute! Arbeiter!
Tiefbedauerliche Ereignisse haben sich in den letzten Tagen zugetragen. Zwischen
Mannschaften, welche die Ordnung gewaltsam zu stören versuchten, und anderen,
die beauftragt waren, sie aufrechtzuerhalten, ist es zu Zusammenstößen gekommen,
bei denen es Tote und Verwundete gegeben hat.
Eine Untersuchung der Vorfälle ist eingeleitet,
bei der alle Amstände sorgfältig geprüft werden sollen, die zu diesen beklagenswerten
Ereignissen geführt haben.
Nach den uns bisher gewordenen Nachrichten ist die herrschende Erregung durch
unsinnige Gerüchte hervorgerufen worden. Es wurde behauptet, die Offiziere
der Kriegsflotte seien mit der Friedenspolitik der Regierung nicht einverstanden und
planten einen Handstreich, der die Mannschaften nutzlos dem Tode überliefern
würde. Die Offiziere der Kriegsflotte leisten der Regierung Gehorsam,
und der gegen sie gerichtete Borwurf, sie hätten diesen Gehorsam verletzt oder
wollten ihn verletzen, ist unberechtigt. Niemand denkt daran, das Leben von
Volksgenossen, Familienvätern zwecklos aufs Spiel zu setzen. Die Regierung hat
schon am 5. Oktober den Gegnern den Abschluß eines Waffenstillstandes vorge-
schlagen, um zweckloses Blutvergießen zu vermeiden.
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