wurden am 4. November aufgefordert, die „Legende von der Todesfahrt“
durch Flugblätter zu zerstreuen. Gewiß, die Marine hatte nicht den Unter-
gang der deutschen Flotte erwartet, sondern ihren Sieg. Das Dementi war
daher formal richtig, wurde aber allgemein dahin verstanden und sollte dahin
mißverstanden werden, daß die Ausfahrt keineswegs einem Kampf mit
England gelten, sondern nur eine der „üblichen Fahrten sein sollte, die man
in letzter Zeit schon öfters machte, um die Mannschaften zu beschäftigen“.1
Vor Gericht in München haben die Herren von der Marine ausgesagt:
Ich wäre von dem geplanten Vorstoß der Flotte vorher in Kenntnis ge-
setzt worden. Ehe diese eidlichen Außerungen vorlagen, hätte ich es auf
meinen Eid genommen, daß ich durch keine Silbe im voraus informiert
worden war. Nunmehr steht für mich fest, daß Admiral Scheer in Gegen-
wart des Konteradmirals v. Levetzow mir am 20.Oktober dem Sinne nach
gesagt hat: „Daß der Hochseeflotte nach Einstellung des U. Bootkrieges
die volle Freiheit des Handelns zurückgegeben werden würde.“ Aber nie
und nimmer vermag ich diese allgemeine Wendung, die nicht einmal sehr
akzentuiert gewesen sein kann, als eine genügend erleuchtende Ankündigung
zu betrachten: die deutsche Flotte wird innerhalb der nächsten 10 Tage den
Kampf auf Leben und Tod mit der englischen Flotte suchen. In jedem
Falle hätte die Reichsleitung vor der endgültigen Befehlsausgabe präzise
Meldung erhalten müssen. Ich kann die Erklärung nicht gelten lassen, daß
mir aus Gründen der Geheimhaltung Zeitpunkt und Ziel der Unter-
nehmung verschwiegen werden mußten. Dem Reichskanzler durften mili-
tärische Angelegenheiten von so weittragender politischer Bedeutung keine
Geheimnisse bleiben. Aber ich bin überzeugt, daß ein Mißtrauen anderer
Art der letzte Beweggrund gewesen ist. Rücksichten der militärischen Ver-
schwiegenheit konnten nicht mehr wirksam sein, nachdem Hipper den Vor-
stoß aufgegeben hatte; und auch dann wurde ich nicht aufgeklärt: die Wahr-
beit über Art und Amfang der geplanten Flottenaktion erfuhr ich erst lange
nach der Revolution.
Die Marine — das ist heute meine Aberzeugung — besorgte, die Reichs-
leitung würde nicht genügend Verständnis und Glauben aufbringen, um
die gewaltige Anternehmung gutzuheißen. Nichtig ist, daß ich den Op-
timismus nicht durchaus geteilt haben würde. Wenn reale Grundlagen
1 Zitat aus dem Bericht des Gesandten eines Bundesstaates, den dieser auf
Grund der ihm erteilten amtlichen Informationen am 6. November absandte.
: Unter anderem Aussage des Konteradmirals Heinrich im Dolchstoßprozeß in
München: er habe bei der Seekriegsleitung angefragt: Ist die Regierung unterrichtet ?
Es wäre bejaht worden.
2 Admiral Scheer, Vom Segelschiff zum U-Boot, S. 356.
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