5. November hieß es: „Die Neigung des Kaisers zur Rückkehr ist jetzt
gering; dies erklärt sich aus der durch die Entsendung des Ministers Drews
erzeugten Stimmung.“ Mir wurde bedeutet, daß der Kaiser die verschie-
denen Frontteile der Reihe nach besuchen müsse, um die Widerstandskraft
der Armee zu stärken.
General Gröner war am Morgen eingetroffen. Er hatte zwar bei seiner
Abreise aus Spa die Genehmigung erhalten, die Rückkehr Seiner Majestät
auf 24 Stunden zu versprechen; aber schon auf dem Bahnhof in Berlin
erreichte ihn ein telegraphischer Widerruf dieser Ermächtigung. — Der
General selbst stellte sich in der Abdankungsfrage auf den rein soldatischen
Standpunkt: „Der Generalfeldmarschall hat mich beauftragt,“ so rief
er in leidenschaftlicher Erregung den versammelten Staatssekretären zuà
„in der Frage der Abdankung des Kaisers wörtlich zu erklären, daß er
sich für einen Schuft hielte, wenn er den Kaiser verlassen würde; und so,
meine Herren, denke ich und alle ehrliebenden Soldaten. Wie sollen die
Tausende und aber Tausende von tapferen Offizieren und Soldaten den
Entschluß zum Opfertode finden, wenn in ihre Herzen und Gewissen der
Zwiespalt hineingetrieben wird. Wovon man in der Heimat keine Ahnung
zu haben scheint, das ist die Psychologie des Heeres, das sind die Im-
ponderabilien, auf denen der Gehorsam ruht. Hört die Hetze gegen den
Kaiser nicht auf, so ist das Schicksal des Heeres besiegelt, es läuft ausein-
ander. In der nach der Heimat zurückströmenden Soldateska bricht die
menschliche Bestie hervor.“
Hier schien kein Ausgleich möglich. Sollten Heer und Heimat einander
wirklich nicht mehr verstehen können?
Haeften und Wahnschaffe unternahmen noch einen Versuch, um die Kluft
zu überbrücken. Sie verabredeten für den nächsten Tag eine Zusammenkunft
zwischen dem General Gröner und den Vertretern der Sozialdemokratie,
insbesondere auch solchen Gewerkschaftsführern, die Gröner seinerzeit als
Mitarbeiter schäßen gelernt hatte. Der General — das war die Meinung —
würde auf diese Weise die Aberzeugung gewinnen müssen, daß die Heimat
in der Gefahr eines unmittelbaren Zusammenbruchs stehe; andererseits
bofften die beiden Herren, daß auch die Arbeitervertreter stutzig werden
müßten, wenn Gröner ihnen die Stimmung der Armee vermittelte. Ich
selbst habe an diesem Tage unter vier Augen vergeblich versucht, Gröner
von der Notwendigkeit der Abdankung des Kaisers zu überzeugen. Er
nahm die ODiskussion dieser Frage als eine Rücksichtslosigkeit gegen die
1 Siehe unten S. 589, Anm.
: In der Sitzung vom 5. November. Amtliche Urkunden Nr. 100.
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