Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

1. Bis vor kurzem haben sich noch in dem aufzugebenden Gebiet 
80000 Verwundete und ungeheure Vorräte an Kriegsmaterial aller 
Art befunden. 
2. Unsere schon jetzt äußerst gespannte Eisenbahnlage wird durch die 
Zurücknahme der Front verschärft, denn wir verlieren ein engmaschiges 
Eisenbahnnetz. Eine notdürftige Versorgung der Truppen in der neuen 
Stellung ist durchführbar, aber die Möglichkeit schneller Truppen- 
verschiebungen hinter der Front hört nahezu auf. 
3. Jeder Schritt rückwärts führt außerdem zu einer Einschränkung 
unseres wirtschaftlichen Lebens und damit vor allem zur Schädigung 
unserer Kriegsindustrie. 
Aber in der klaren Erkenntnis dieser unvermeidlichen Folgen hat 
der Entschluß gefaßt werden müssen, denn unsere „erste Pflicht ist und 
bleibt es, eine entscheidende Niederlage des Heeres unter allen Um- 
ständen zu vermeiden. Gelingt dem Feind der Durchbruch, so besteht 
aber diese Gefahr, da die Oberste Heeresleitung über genügend kampf- 
kräftige Reserven nicht mehr verfügt". 
Bei dieser Schwenkung der nördlichen Heereshälfte in die angegebene 
Linie wollte Gröner nur in Aussicht stellen, daß für etwa 14 Tage schwere 
Kämpfe vermieden werden und die ermüdeten Truppen dadurch etwas 
Ruhe gewinnen könnten. Aber da die neue Stellung nicht fertig ausgebaut 
sei, würde sich die militärische Lage im großen nicht verbessern.“ 
Payer drang in Gröner, er möchte sich äußern, wieviel Zeit wir noch 
hätten, bis wir kapitulieren müßten. Gröner wollte keine bestimmte Aus- 
kunft geben: „Die nötige Zeit für Verhandlungen wird sicher von uns ge- 
1 Im „Dolchstoßprozeß"“ hat General Gröner in seiner Aussage die Lage, die 
er bei Ibernahme seines Amtes an der Westfront vorfand, sehr ausführlich er- 
wähnt. Seine ersten Eindrücke waren: Es ist höchste Zeit, sich schneller als bis- 
her vom Feinde abzusetzen und in die Antwerpen-Maasstellung zu gehen; er habe 
sich schon vorher andauernd gefragt, warum nicht seit Monaten eine kürzere Linie 
eingenommen worden sei, warum man sich nicht eingegraben habe, um aus den durch 
die kürzere Front gewonnenen Truppen eine nach der Tiefe gegliederte Reserve 
zu machen. Als er das Kommando übernahm, sei tatsächlich von einer Reserve 
nichts mehr dagewesen. Ludendorff und die anderen Herren hätten sich offenbar 
von einem Widerstand in dieser Stellung nicht viel versprochen, denn weder die 
Stellungen noch die Eisenbahnen waren ausgebaut. Er hätte auch den linken Flügel 
gekürzt, das Elsaß preisgegeben und bei Straßburg die Flanke gemacht. Als er 
sich aber bei der Obersten Heeresleitung erkundigte: Wie steht es mit Metz und 
Straßburg, wurde ihm die Auskunft, wir hätten keine Geschütze mehr dort. (Der 
Dolchstoßprozeß in München Oktober-November 1925, Eine Ehrenrettung des 
deutschen Volkes, München, S. 215). 
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