schaffen werden.“ Wenn wir Glück hätten, könnte die Zeit länger sein, bei
Anglück kürzer. Danach müßten die Verhandlungen in taktischer Hinsicht
eingerichtet werden, und darum erstrebe er engste Verbindung mit der
Reichsleitung. Erzberger fragte, welche Frist der General Gröner als die
kürzeste ansehe, wenn alle ungünstigen Umstände zusammenfielen. Die
Reichsleitung dürfe nicht noch einmal in Verlegenheit gesetzt werden. Der
General antwortete: Gegenwärtig sei eine großzügige Rückzugsoperation
eingeleitet, diese sei bisher gut und glücklich verlaufen. Es komme darauf an,
ob eine erhebliche Einwirkung des Feindes stattfinde, so insbesondere,
ob an einer bestimmten, sehr wichtigen Stelle alle Angriffe restlos abge-
wiesen werden könnten. Der General dachte an einen gefährlichen Dunkt
nördlich Berdun 1 — er bat uns um einige Tage Geduld, bis die Opera-
tionen beendet seien.
Am Nachmittag erschien Haußmann im Kabinett und gab in Gegen-
wart Gröners einen lebhaften und präzisen Bericht. Spät am Abend rief
Noske Payer ans Telephon und gab einen vorläufigen Rückblick über die
Ereignisse. So gewannen wir über die Lage in Kiel ein Bild von scharfen
mrissen.
Eins war klar: Noske war im letzten Augenblick eingetroffen, um in
Kiel ein bolschewistisches Chaos zu verhindern. Die Macht war den Marine=
behörden entglitten, die Meuterer standen einen Augenblick verdutzt und
1 Vgl. Ludendorffs Außerung am Nachmittag des 17. Oktober, siehe oben S. 450:
„Gefährlich könnte es werden, wenn wir bei Verdun eine Niederlage erlitten, sonst
sehe er die Gefahr nicht für so groß an.“
à In diesem Bericht vom 5. November 1918 läßt sich nur aus Andeutungen
erkennen, was General Gröner später in München näher ausgeführt hat: „Jedenfalls
waren wir zu spät daran mit dem Rückzug an die Antwerpen-Maasstellung. Am
so mehr, als sich nach wenigen Tagen die große Gefahr herauskristallisierte, die ich
kommen sah. Die Stellung war zu halten, wenn die Truppen überhaupt hielten, aber
es durfte eines nicht passieren, es durfte nicht nördlich Verdun das amerikanische
Heer oder ein erheblicher Bestandteil davon vorwärts kommen, denn mit dem Augen-
blick, in dem es passierte, daß die frischen Truppen, die unseren kotal geschwächten
Truppen gegenüber weit überlegen waren, vorkamen, war auf einige Zeit die Stellung
nicht mehr zu halten, und das ist dann eingetreten, die Amerikaner find immer weiter
vorgekommen nach dem 1. November.“ Seiner Ansicht nach hätte der Feind all-
mählich sowohl auf dem linken Flügel gegen Aachen wie auf dem rechten nördlich
Verdun vorgestoßen, und wir wären gezwungen gewesen, angesichts dieser Am-
fassung, sehr frühzeitig die Antwerpen-Maasstellung zu verlassen. Ob noch einmal
westlich des Rheins den Feinden Halt geboten werden könnte, war nicht abzusehen,
aber jedenfalls konnte ein letzter Widerstand hinter der starken Barriere des Rheins
organisiert werden; und dazu war er schlimmstenfalls entschlossen. (Der Dolchstoß-
prozeß, S. 215 f.)
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