Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

ratlos vor der zerschlagenen Autorität — Führer hatten sie nicht. Als 
Noske auf dem Bahnhof in Kiel eintraf, empfing ihn großer Jubel. Gleich- 
zeitig einfahrende Truppen, die vom Stellvertretenden Generalkommando 
des IX. Korps geschickt waren, wurden auch mit großem Hallo begrüßt — 
und entwaffnet. Da erkannte Noske blitzschnell Chance und Verpflichtung, 
die seine Volkstümlichkeit ihm gaben. Ich habe, so sagte er am Telephon, 
den Posten eines Gouverneurs annehmen müssen und bereits gute Erfolge 
erzielt. In Wahrheit hatte der Mann Dbermenschliches geleistet: Der 
unterbrochene Sicherheits-Patrouillendienst auf der Ostsee wurde wieder- 
hergestellt: „Sie wollen die Engländer nicht haben,“ so berichtete er. 
Noske hätte hinzufügen können, daß, ehe er kam, nirgends bei den Meuterern 
ein Gefühl der Verantwortung für die Sicherheit des Landes zu spüren 
war. Die Marinebehörden arbeiteten weiter trotz ihrer demütigenden Lage. 
Die Stadt, in der sinnlose Schießereien immer neue Panik verbreitet 
hatten, wurde im Lauf des 5. November ruhig: „Ich habe es dazu ge- 
bracht, daß das Schießen seitens der Mannschaft aufgehört hat, auch 
die Offiziere sind veranlaßt worden, das Schießen aufzugeben.“ Er hoffte 
mit der Forderung durchzudringen, daß die Mannschaften die entwendeten 
Waffen wieder ablieferten; am Werschluß sei er beteiligt. Aber die auf- 
rührerischen Schiffe aber hatte er keine Macht. Im Verlauf des 5. Novem- 
ber gingen überall in der Bucht an den Flaggenmasten die roten Fahnen 
hoch. Der Kommandant des „König“ wurde erschossen, als er die deutsche 
Fahne schützen wollte. Allein „Schlesien“ entging durch Flucht der 
Schande. 
Haußmann und Noske waren denkbar entschieden in der Ablehnung 
militärischer Hilfe und wurden darin von Seeoffizieren unterstützt, die 
an Ort und Stelle waren.1 Die Entsendung von Militär würde den Auf- 
ruhr nicht unterdrücken, sondern verbreiten. Sie fürchteten die unheim- 
liche Ansteckungskraft der Meuterei, seit vor ihren Augen nach Kiel ent- 
sandte Truppen sich entwaffnen ließen. AUnsere beiden Abgesandten waren 
sich darin einig, daß wir nur eine Hoffnung hätten: freiwillige Rückkehr 
zur Ordnung unter sozialdemokratischer Führung; dann würde die Re- 
bellion in sich zusammensinken. Zwar seien die Anabhängigen an der Arbeit, 
um die Aufruhrbewegung in Fluß zu halten; aber die Gewerkschaften 
leisteten Widerstand und hielten heute zu Roske. Allenthalben, so berichtete 
er, spüre er unter Arbeitern und Matrosen, wie das dem Deutschen ein- 
geborene Bedürfnis nach Ordnung wieder erwache. 
1 Simons verlas ein Telephongespräch mit Oberleutnant zur See v. DTwar- 
dowski: Die Stadt sei jetzt ruhig, Noske zum Kommandanten ernannt, der Ober- 
leutnant habe dringend von militärischen Maßnahmen abgeraten. 
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