Ich machte dem Kabinett in Gröners Gegenwart Mitteilung von dieser
furchtbaren Eröffnung. Gröner fügte ergänzend hinzu:
„Auch ich hatte gehofft, daß wir acht bis zehn Tage warten können,
bis wir uns an der [neuen] Linie gesetzt haben. Nachdem, was ich in-
zwischen von Kiel, von Tirol und von der Heimatstimmung erhoben
habe, insbesondere in Bayern, mit weitgehenden politischen Konse-
quenzen, bin ich zu der #berzeugung gekommen, daß wir den Schritt,
so schmerzlich es ist, tun und Foch fragen müssen.“½
Gröner begründete in diesen Worten seine trübere Auffassung mit dem
Zustand der Heimat. Wir hatten ihn wohl auf die bedrohlichen Anzeichen
in Bayern hingewiesen; der General war bestürzt über den Bericht, den
Haußmann noch ganz unter dem Eindruck des unbesiegten Aufruhrs er-
stattet hatte. Die Abwehrmaßnahmen, die wir in seiner Gegenwart dis-
kutiert hatten, beurteilte der General skeptisch, schon damals überzeugk:
„Feldgrau wird nicht gegen Feldgrau schießen.“ Aber sein Dessimismus
war nicht allein auf das Wanken der Heimatfront zurückzuführen. Die
Amerikaner machten gerade in diesen Tagen dort Vortschritte, wo sie es
nicht durften, sollte die Antwerpen-Maasstellung länger gehalten werden,
nämlich nördlich Verdun. Gröner sah offenbar schon am 6. November die
Notwendigkeit gegeben, hinter die Barriere des Rheins zurückzugehen. Er
rechnete noch damit, dort schlimmstenfalls den letzten Widerstand organi-
sieren zu müssen; die Erfragung der Bedingungen war für ihn nicht gleich-
bedeutend mit deren Annahme. Hinter seine niederschmetternde Ankün-
digung setzte er die Worte: Verschärfte Bedingungen sind zu erwarten,
ob wir sie annehmen können oder müssen, werden wir sehen. Ihm lag wohl
vor allem daran, durch den Schritt von Armee zu Armee die unerträgliche
Spannung zu lösen, die für Heer und Heimat das Durchhalten erschwerte.
lung mit der Truppe sei. Die Generale und Stäbe hätten nach den letzten Ereignissen
einen Besuch des Kaisers überhaupt nicht mehr erwartet und seien der Meinung
gewesen, daß der Kaiser das Heer verlasse. Dies habe die Stimmung im Offizier-
korps sehr niedergedrückt. Zur Stärkung der Widerstandskraft der Armee und zur
weiteren erfolgreichen Abwehr sei es unerläßlich, daß der Kaiser die verschiedenen
Frontteile der Reihe nach besuche.
Entscheidung über weitere Dispositionen wird erst nach Rückkehr General Gröners
erfolgen.
Grünau.
1 Ich bediene mich über die Sitzung am 6. November der Notizen Conrad
Haußmanns, die sich beim Vergleich mit den amtlichen Protokollen immer zuver-
lässig erwiesen haben. Ein anderes Protokoll über den 6. November habe ich nicht
gefunden. ·
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