Die Abdankung des Kaisers blieb für ihn als Soldaten indiskutabel,
aber er sah einen anderen ehrenvollen Ausweg, und die Not der Stunde
öffnete ihm den Mund: Der Kaiser dürfe zwar nicht sein Amt, wohl aber
sein Leben opfern — zum mindesten aufs Spiel setzen. Konnte die Opfer-
tat nicht noch einmal das Volk hochreißen, wenn die furchtbaren Be.
dingungen kamen und die elende Hetze: „Der Kaiser ist schuld daran“
verstummt sein würde? Ich war überzeugt, daß die Umgebung Seiner
Majestät noch eher der Abdankung zustimmen würde.
Am Nachmittag des 6. November trat das Kabinett zusammen, um
über die revolutionäre Anruhe zu beraten. Kiel selbst beruhigte sich all.
mählich. Noske war am Dande seiner Kräfte, aber er hielt aus, und Stadt
und Garnison fügten sich seiner Autorität. Die Absperrung des Her-
des aber war mißlungen: nicht nur zu Wasser, sondern auch zu Lande
drangen Matrosen in die Städte der Wasserkante, um planmäßig den Auf-
ruhr zu verbreiten. Eine neue Front — die Nordfront — war im Er-
stehen.
Die Vorgänge in Lübeck waren typisch: Vier Kriegsschiffe erschienen
am 5. November in der Bucht; die Matrosen besetzten das Hauptpostamt,
den Bahnhof und die Magazine. Die Leute erließen eine Proklamation,
darin die Abschaffung der Militärdiktatur und sofortiger Waffenstillstand
gefordert wurden. Im übrigen ermahnten sie zur Ruhe und bedrohten
Olünderer mit Todesstrafe. Was an Truppen vorhanden war, dachte nicht
daran, sich zum Schutz der Behörden einzusetzen; zum mindesten blieb
man neutral.
Ebenfalls noch am 5. November wurde Brunsbüttel am Eingang der
Elbe von Matrosen überwältigt. Heute werden Cuxhaven und Hamburg-
Altona revolutioniert. Der Stellvertretende Kommandierende General
verläßt Altona, in der Hoffnung, von außen den Widerstand besser organi-
sieren zu können. Gleichzeitig meldet er, daß seine Truppen unzuverlässig
sind. In Hamburg habe er gar keine Macht mehr. Die aufgeregten Massen
balten sich für unwiderskehlich, seit die „siegenden" Matrosen sie darüber
belehren, daß die Truppen des IX. Korps nicht mehr schießen wollen.
Schon sind die Gefängnisse von der aufständischen Menge geöffnet worden.
Die Meuterer haben die Bahnhöfe Hamburg-Altona besetzt und die
folgenden Forderungen aufgestellt: Abberufung des Generals v. Falk,
Anerkennung des Soldatenrats, Abernahme des Verkehrs, Abernahme der
Ernährungswirtschaft.
Der Kriegsminister hatte noch immer keine Fronttruppen, die allein für
ein offensives Anternehmen in Betracht kamen. Am heutigen Vormittag
(6. November) war ihm gemeldet worden, daß die Anfänge der 2.Garde-
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