mit tiefster Dankbarkeit und dem Bewußtsein, nicht umsonst gekämpft
zu haben.“
Als Payer diese Erklärung im Kabinett verlesen hatte, sagte Scheidemann:
„Ich bedaure den Schritt des Reichskanzlers außerordentlich. Wir
haben uns die Sache reiflich überlegt. Hier ist aber die Entscheidung in
fünf Minuten gefallen. Ich habe den dringenden Wunsch, daß aus der Sache
nichts wird. Ich habe inzwischen den Abgeordneten Ebert gesprochen. Er
hat mir mitgeteilt, daß unsere Forderungen auf die Arbeiterschaft außer-
ordentlich beruhigend gewirkt haben. Sie haben versprochen, nichts
zu unternehmen, bis die Entscheidung gefallen ist. Sie, meine Herren,
und der Herr Reichskanzler müssen doch einsehen, daß wir alles getan
haben, was wir konnten, um die Massen bei der Stange zu halten.“
An diesem Abend empfing ich den Oberkommandierenden in den Marken
in Gegenwart des Kriegsministers. In Berlin war noch alles ruhig.
1500 Matrosen hatten die Durchfahrt bei Neustadt a. d. Dosse erzwungen
— nur 300 trafen auf dem Lehrter Bahnhof ein und wurden sofort ver-
haftet. Da am Nachmittag Meldungen eingegangen waren, daß nicht
nur von Hamburg und Hannover, sondern auch von allen anderen Seiten
verdächtige Elemente — Soldaten und Zivilisten — versuchten, Berlin
zu erreichen, war heute von den Militärbehörden die Einstellung des ge-
samten Personenverkehrs von und nach GBerlin angeordnet worden. Mit
Bestimmtheit bejahte Linsingen die Frage, ob er unter allen Imständen
sicher sei, Berlin halten zu können. Er habe nicht viele, aber ganz gute
Truppen. Er würde allerdings unter Amständen scharf zufassen, auch Ar-
tillerie verwenden müssen. Beschränkungen wurden ihm von mir in keiner
Weise auferlegt. Auch Scheüch sah die Lage in Berlin zuversichtlich an,
er vertraute besonders auf die 4. Jäger. Ich hielt mich an die PVersiche-
rungen der Militärs, aber war mir bewußt, daß wir uns auf die Alter-
native einstellen mußten: entweder die Truppe kämpft gegen einen bolsche-
wistischen Dutsch und wird moralisch unterstützt von den Mehrheitssozial-
demokraten und den Massen, die hinter ihnen stehen; oder die Truppe
wird gegen eine gewaltige Volksbewegung angesectzt, die den Kaiser zur
Abdankung treiben will.
Im ersten Fall würde man Aufstände niederschlagen, im zweiten einen
Bürgerkrieg führen müssen. Ich merkte an meinem eigenen Anwillen,
wie nahe die Versuchung war, jetzt in Kampfesstellung gegen die Sozial-
1 Neben dem Drotokoll der Reichskanzlei find die an einigen Stellen ausführ-
licheren Notizen C. Haußmanns verwendet worden.
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