Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

So ist der Vertrag der 14 Punkte seinem Geist und seinem Buchstaben 
nach gebrochen worden. Kein ernsthafter Versuch wird mehr gemacht, um 
zu behaupten, daß er gehalten sei. Die Gegner Präsident Wilsons in den 
Ententeländern, die ihn jahrelang verhöhnt haben, die Vertreter des 
Döbels — Horatio Bottomley —, die Wortführer der Interessenten- 
gruppen, die von jeher Deutschlands Handel zertrümmern wollten, und 
die erklärten Anhänger strategischer Grenzen, sie alle rühmen sich heute 
ohne Scheu ihres Triumphes über Wilson und sprechen von „the crushing 
defeat of the 14 points“, von der überwältigenden Niederlage der 
14 unkte. 
Deutschland kämpft heute für mehr als für sein Recht. Wenn wir 
weiterhin unsere Sache ehrlich führen und auch nicht den leisesten Versuch 
machen, zu unseren Gunsten etwas von der vereinbarten NRechtsbasis ab- 
zuhandeln, so führen wir die Sache der Menschheit. 
Europa ist rettungslos zum Chaos verurteilt, wenn dieser Vertrag ver- 
wirklicht wird. Dieser Vertrag bringt keinen Frieden, sondern einen 
dauernden Kriegszustand. 
Als vor ein paar Wochen der Friede nahe schien und unserem kranken 
und hungernden Volke eine ausreichende Ernährung in Aussicht stand, da 
sprang so etwas wie eine Hoffnung auf, als könnte Deutschland als erste 
Nation den Klassenfrieden erringen durch große Opfer der Besitzenden 
und dank eines wiedererwachenden Volksgefühls der Arbeiter. Kommt 
statt des Friedens der Versailler Vertrag, dann werden die 15 Millionen 
Menschen, die in Deutschland „de trop“, zuviel, sein werden, sich nicht ein- 
fach auslöschen lassen, und wir würden, wenn Deutschlands Ketten nicht 
zerbrechen, einen Bruderkampf erleben, furchtbarer als alles, was Krieg 
und Waffenstillstand gebracht haben. 
Das neu entstandene Dolen aber würde der Schauplatz ununterbrochener 
Freiheitskämpfe werden. 
Selbst wenn das Andenkbare einträte und sich eine deutsche Regierung 
bildete, die bereit wäre, Oberschlesien oder Ostpreußen oder Westpreußen 
preiszugeben, so wären doch diese deutschen Länder nicht gewillt, Deutsch- 
land preiszugeben. 
Die gewaltsame Aufrichtung des polnischen Imperialismus, wie die 
Entente ihn plant, ist ein schweres Anrecht auch gegen die Polen selbst, die 
einen Nationalstaat verwalten können, aber nicht den Aufgaben eines 
Nationalitätenstaates gewachsen sind. 
Die Polen sind gewissenlose Hüter der ihnen anvertrauten nationalen 
Minderheiten. Das sind sie heute, wie sie es zur Zeit der polnischen Republik 
waren. Ich verweise auf die Nachrichten über die Dogrome in Polen, die 
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