Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

„Plötzlich erhob er sich und sagte im Ton tiefster Niedergeschlagen— 
heit: „Meine Herren, die Politik, die Sie empfehlen, wäre die Ret— 
tung; aber ich fürchte, das deutsche Volk ist noch nicht reif dafür; es 
muß noch viel mürber werden.“ 
„Ihm wurde erwidert: „Mit einem mürben Volk im Rücken kann 
der Kanzler seine Politik nicht mehr machen.“ 
„Harnack sagte dann zu, Herrn v. Bethmann aufzusuchen, aber nur 
unter der Bedingung, daß eine vorhergehende Erkundung beim Staats- 
sekretär des Außeren, Herrn v. Jagow, ihm seinen Besuch beim Kanzler 
als aussichtsvoll erscheinen ließe. 
„Der Besuch beim Kanzler ist dann unterblieben.“ 
Hans Delbrück ist Harnacks Schwager und steht ihm auch poli- 
tisch nahe. Seit mehr als zwei Jahren wirbt er allmonatlich in den 
Preußischen Jahrbüchern für den Verständigungsfrieden. Er ist mit 
Recht der Vater dieser Idee genannt worden. In der Tat hat er die 
Herausgabe Belgiens öffentlich zu fordern gewagt, als wir vor Paris 
standen und der Rückschlag an der Marne noch nicht eingetreten war. 
Seit dem Spätjahr 1914 versammelten sich an jedem Mittwoch abend 
unter Delbrücks Vorsitz seine Gesinnungsgenossen; hohe Beamte, Ge- 
lehrte, auch einige Darlamentarier waren darunter. In den Januar= 
zusammenkünften habe, in der sicheren Erwartung des verschärften 
Ulootkrieges, eine geradezu verzweifelte Stimmung geherrscht. Man 
sei versucht gewesen, ein Wort aus der Ilias abzuwandeln: „So sangen 
sie die Totenklage über Deutschland, als es noch lebte.“ 
Da sei ein Außenseiter erschienen, der wußte, daß sich immer wieder 
aufs neue die künstlich zurückgedrängten Zweifel und bangen Ahnungen 
auch noch bei den leitenden Männern meldeten und keine Ruhe geben 
wollten. Er rief die Herren auf: „Greift noch in letzter Stunde ein! 
Noch schwankt die Wage. Vielleicht kann die Warnung dieser hoch- 
ansehnlichen Versammlung den Ausschlag geben. Kein Entschluß ist un- 
widerruflich, solange er nicht ausgeführt ist.“ 
Aber die Herren, auch Hans Delbrück, meinten in schier unbegreif- 
licher Zurückhaltung: man solle der Reichsleitung die einmal feststehende 
Entscheidung nicht noch schwerer machen. 
Schließlich wurde mir ein Beispiel entgegengebracht, das aus meiner 
besonderen Interessensphäre stammte; die Herren meinten wohl, mir an 
diesem Fall am besten die Notwendigkeit persönlichen Eingreifens zu 
1 Vgl. seine Aufsätze „Der realpolitische Pazifismus“ und das „Beispiel Na- 
poleons“, Preußische Jahrbücher, Bd. 167, Heft 3. 
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