Grey wäre die Erhaltung des Friedens recht gewesen. Alle seine NRat-
schläge strebten danach, dieses Ziel zu erreichen; aber höher als der Friede
stand ihm die Tripleentente. Sonst hätte er nicht versäumt, Rußland zu
sagen: Unsere Teilnahme am Kriege ist abhängig von der Art der Kriegs-
entstehung. Wenn ihr unseren Rat mißachtet und durch eine allgemeine
Mobilmachung die diplomatische Situation zerschlagt und in eine mili-
tärische verwandelt, dann weigern wir uns, an dem entstehenden Welt-
brand teilzunehmen.!
Obgleich Grey (seit dem 25. Juli) erstens wußte, daß die allgemeine
russische Mobilmachung drohte, und zweitens sich völlig über deren unver-
meidliche Folgen klar war, hat er es doch sorgfältig vermieden, solch war-
nende Sprache in Petersburg zu führen. Im Gegenteil: Zeichen über Zeichen
gelangte nach Rußland, geeignet, die Furcht vor Englands Neutralität
zu zerstreuen. Lord Northeliffe nannte es Verrat, wollte England unter
irgendwelchen Umständen aus dem entstehenden Weltkrieg draußen bleiben;
er sagte nach Rußland hinüber das furchtbare Wort: „Mechanismus der
Entente“ und ließ sich durch seinen Korrespondenten die Wirkung in Peters-
burg folgendermaßen quittieren: „The articles of the „Times“ have
done much to inspire hope.“ 3 Die Mobilhaltung der englischen Flotte
aber wirkte auf Petersburg wie das Signal zum Sturm.
Churchill hat diese Maßnahme veranlaßt, Grey aber hat sie gebilligt.
Grey hätte den Weltkrieg verhindern können, wenn er Nußland mit
der Neutralität, Deutschland mit dem Aufgeben der Neutralität be-
droht hätte, je nachdem durch Rußlands oder der Zentralmächte Schuld
der Friede in Trümmer gehen würde. Grey war doppelt gelähmt: mit
1 Man lese dagegen die scharfe Absage Bethmanns an Österreich in seiner
ODepesche an den deutschen Botschafter in Wien, Tschirschky, vom 30. Juli: „Wir sind
zwar bereit, unsere Bündnispflicht zu erfüllen, müssen es aber ablehnen, uns von
Wien leichtfertig und ohne Beachtung unserer Ratschläge in einen Weltbrand hinein-
ziehen zu lassen“; siehe oben S. 41, Anm. 1.
: „Ich sagte alles, was ich konnte, um den srussischen) Staatssekretär des Uußern
von der Notwendigkeit der Vorsicht zu Überzeugen, und warnte ihn: Wenn Rußland
mobilisieren würde, würde sich Deutschland nicht nur mit einer bloßen Mobilmachung
begnügen oder Rußland Zeit geben, die ihre auszuführen, sondern wahrscheinlich
sofort den Krieg erklären“ (Great Britain and the European Crisis lenglisches Blau-
buch], London 1914, Nr. 17, der Botschafter in Petersburg Sir George Buchanan
an Sir Edward Grey am 25. Juli 1914). — „Seit dem 26. [Julil, dem Tage, wo ihr
die Gewißheit gekommen war, daß Rußland Vorbereitungen zur Mobilmachung
betrieb, hatte die deutsche Regierung nicht aufgehört, die Russen, Franzosen, Eng-
länder, Osterreicher, Italiener zu warnen, daß die Mobilmachung der Krieg wäre:
Mobilmachung bedeutet Krieg“ (G. Demartial, a. a. O., S. 111).
2 „Die Artikel der „Times“ haben viel dazu beigetragen, Hoffnung zu erwecken.“
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