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4. Man wird dem Kanzler analog dem Präsidenten des
Reichstags 20 ein gewisses Disziplinarrecht zur Aufrechterhaltung
der Ordnung in den Sitzungen über die Mitglieder des Bun-
desrates zugestehen müssen, wenn auch hierüber keine besonderen
Vorschriften in der Geschäftsordnung enthalten sind, sondern
nur die allgemeine Bestimmung des Art. 15 Abs. 1 Reichs-
verfass. hierzu angezogen werden kann. Und zwar wird man
annehmen müssen, daß der Reichskanzler als Bundesratsvor-
sitzender solche Disziplinarbefugnisse habe, wie sie dem Präsi-
denten eines Parlaments in herkömmlicher Weise zur Ver-
fügung stehen,?1) nur daß der Kanzler nicht soweit gehen darf,
einen Bundesratsbevollmächtigten von der Teilnahme an den
Bundesratssitzungen auszuschließen, weil damit das Mitglied-
schaftsrecht des betr. Staates selbst verletzt würde. 2)
V. „Jedes Bundesglied ist befugt, Vorschläge zu machen
und in Vortrag zu bringen,:5) und das Präsidium ist ver-
pflichtet, dieselben der Beratung zu übergeben,“) d. h. alle
Anträge der Einzelstaaten müssen zur Beratung gestellt werden,
was eins ihrer wichtigsten Rechte inbezug auf den Bundesrat
darstellt.25) Elsaß-Lothringen steht auch in dieser Hinsicht den
20) § 60 f. Geschäftsordn. f. d. Reichstag.
21) Außerdem wird man ihm das Recht einräumen dürfen, den
Einzelregierungen Beschwerden des Bundesrates über einzelne Mitglieder
mitzuteilen.
22) Vogels, S. 28. A. A. Arndt, Staatsr., S. 92, der darauf ver-
weist, daß auf dem Frankfurter Bundestage weder dem Präsidium noch
der Bundesversammlung selbst irgend eine oberaufsichtliche oder richter-
liche Gewalt über die Bundestagsgesandten zugestanden habe. Dies gelte
auch noch für den Bundesrat.
23) Vgl. das entsprechende Vorschlagsrecht der Kantone in der
schweizerischen Bundesversammlung. (Art. 93, Abs. 2 der Bundesverfass.)
24) Art. 7, Abs. 2 Reichsverfass. — Diese Initiative geschieht inner-
halb des Bundesrates. Dagegen macht der Bundesrat im ganzen dem
Reichstage und der Reichstag dem Bundesrate (Art. 16 und 23 Reichs-
verfass.) Vorschlägee. Dagegen kann kein einzelnes Bundesglied im Reichs-
tage die Initiative ausüben. Im allgemeinen gehen Gesetzesvorlagen
vom Bundesrat an den Reichstag, wenngleich auch letzterem das Initiativ--
recht zusteht.
25) Zorn, Staatsr. I, S. 409; Dambitsch, S. 233.