Auch hier ist zu sagen, daß, wenn die qualifizierte Mehrheit
von 14 Stimmen im Bundesrate vorhanden ist, die Verfaĩĩungs—
änderung zu Recht besteht.
Wenn oben gesagt wurde, daß lediglich die Verfassungs-
urkunde unter die Regel des Art. 78 Abs. 1 falle, so ist diese
Auslegung hier dahin zu erweitern, daß selbstverständlich die-
jenigen Gesetze, welche in die Verfassung selbst ausgenommen
worden sind, zur Aufhebung oder. Abänderung ebenfalls der
qualifizierten Mehrheit bedürfen. 6550) Zorn) will dies auch
für die anderen Gesetze wahrhaben, welcher Ansicht jedoch nicht
beigetreten werden kann, weil es dem Wortlaut der Verfassung
nicht entspricht.
Jede Verfassungsänderung, also auch nur eine zeitweilige,
hat das Erfordernis der Vierzehnstimmenmehrheit zu beobachten.
Für eine entgegengesetzte Ansicht bietet die Verfassung keinen
Anhalt, abgesehen davon, daß eine solche Regelung nur zur
Umgehung des Art. 78 Abs. 1 benutzt würde.?)
Die Vorfrage, ob ein Verfassungsänderungsvorschlag vor-
liegt, betrifft nur die Auslegung, nicht aber eine Abänderung
der Verfassung und ist deshalb wie Vorfragen überhaupt durch
einfachen Mehrheitsbeschluß zu entscheiden. 6?) Die Frage kommt
...
66) v. Mohl, S. 185; Dambitsch, S. 683.
67) Zorn, Staatsr. I, S. 433; ebenso Hänel, Stud. I. S. 255; Her-
1
wegen, S. 51. E
68) Als Beispiel diene das Gesetz vom 3. Aug. 1893 (RGBl. S. 233)
Art. II, § 1. Die hier vorgesehene Abänderung der Dienstzeit für gewisse
Truppengattungen sollte nur vom 1. Oktober 1893 bis 31. März 1899
gelten. (Eine Verlängerung des Gesetzes ist später erfolgt.) Auch hier
mußte Art. 78, Abs. 1 beobachtet werden.
69) Laband, Staatsr. I, S. 284, Reichsstaatsr. S. 70 f.; Brie im
Arch. f. öff. Recht IV, S. 1 f., 60; Meyer, Lehrb., § 163, A. 10; v. Rönne,
Staatsr. II. S. 35, Verf.-Recht, S. 150; Arudt, Staatsr., S. 95 f.; Hänel,
Stud. I. S. 258 f.; Seulen, S. 43 f.; Proebst, S. 125; Zorn, Staatsr. J,
S. 431; Abg. Miquel im Reichstage am 13. Juni 1873, Sten. Ber., S. 1126
und 1142. A. A. Seydel, Komm, S. 146, der die qualifizierte Mehrheit
auch für die Entscheidung der Vorfrage verlangt, die Fälle der Art. 5, 37
und 78, Abs. 2 unentschieden läßt. Windthorst wünschte in der genannten
Reichstagssitzung vom 13. Juni 1873, Sten. Ber., S. 1138 die Vorfrage
sogar durch Stimmeneinheit entschieden zu sehen, wozu aber kein Anhalt
vorhanden ist. Regel ist jedenfalls einfacher Mehrheitsentscheid, der hier,