Full text: Der Geschäftsgang im Bundesrat.

26 
wortung dieser Fragen eine erhebliche nicht allein staatsrecht— 
liche, sondern auch praktlsch politische Bedeulung hat. 
a. UÜber die Entscheldung der ersten Frage sind sich sast 
alle Sohriftsteller darim elnlg, daß der Reichskanzler abgesehen 
von seiner Stellung als Vorsitzender zugleich Mitglied des 
Bundesrates ist, was aus den Worten „jedes andere Mitglied" 
in Art. 15, Abf. 2 klar ersichllich ist.) Daraus folgt, daß, was 
6) A. A. Hensel in Hirths Annalen 1882, S. 10 . Dieser sagt, der 
Reichskanzler brauche nur Vorsitzender, aber nicht zugleich Mitglied des 
Bundesrates gqu sein. Er beruft sich auf die Bekanntmachung vom 10. S. 
1867, worin alle Bundesratsmitglleder uußer dem Bundeskansler, Grafen 
von Bismarck, ansgegählt sind. Dies wurde aber als selbstverständlich 
anßeracht gelassen. Dabei hal Bismarck damals selbst die Stimmen 
Preußens geführt. (Vgl. hierüber Meyer, Lehrb., S. 434; Seydel, Krit. 
Bierteljahresschr. 1I, S. 273.) Derselben Ansicht war Bismarck gegenüber 
dem Abg. Hänel im Reichslage am 13. März 1877, Sten. Ber. I, S. 127: 
„Der Herr Vorredner meinte, es sei unter anderem nicht möglich, daß der 
Reichskanzler nicht zugleich die prenßischen Stimmen führe. Ich halte das 
doch für möglich, ich halte es nicht für nützlich; der Reichskanzler braucht 
nach der Verfassung, wie ich glaube, gar nicht Mitglied des Bundesrats 
zu sein. Nach der Verfassung führt er den Vorsitz in demselben, und so- 
weit ein Vorsitz ohne Mitgliedschaft denkbar ist, wäre es auch möglich, daß 
or nicht Mitglied wäre“, am 24. Jan. 1883, Sten. Ber. S. 893 und seine 
Ausführungen in den „Gedanken und Erinnerungen“ II, S. 397. 
Bei dieser Auffassung hatte Fürst Bismarck wahrscheinlich weniger 
den Wortlaut des Art. 15 als das charakteristische Merkmal der Stellung 
des Reichskanzlers im Auge, der als Hauptzweck seiner Tätigkeit nicht so 
sehr die Vertretung eines einzelnen Bundesstaates, als die gleichmäßige 
Verfolgung der Reichsinteressen erstreben muß. (Vgl. die Erklärung des 
Reichskanzlers Fürst Bülow in der Sitzung des Reichstags vom 1. Mai 
1907, Sten. Ber., S. 1269: „Ich bin im Bundesrat nur Organ des Reichs 
in seiner Gefamtheit und dabei stimmführender Vertreter Preußens, ich bin 
nicht Organ für die Vertretung der Einzelinteressen der verschiedenen Bundes- 
regierungen und Bundesstaaten. Für diese Jnteressen sind die Bundesrats- 
vertreter die gegebenen Organe.“ Diese Auffassung findet auch eine Stütze 
darin, daß die Ernennung des Reichskanzlers durch den Kaiser, nicht den 
König von Preußen geschieht. Vgl. über letzteren Punkt Hänel, Stud. II, 
S. 24, der mit Unrecht dem ungenauen Wortlaut der Verfassung ein zu 
großes Gewicht beilegt. Durch den Verfassungstext wird nicht ausge- 
schlossen, daß der Bundesratsvorsitzende Vertreter eines Bundesgliedes und 
Mitglied des Bundesrates ist. Hänel, Stud. II, S. 26 f. will selbst die 
Notwendigkeit der Mitgliedschaft des Reichskanzlers aus der Bezeichnung 
„Präsidialstimme“ begründen, was aber von Hensel a. a. O. widerlegt wird.)
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.