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wortung dieser Fragen eine erhebliche nicht allein staatsrecht—
liche, sondern auch praktlsch politische Bedeulung hat.
a. UÜber die Entscheldung der ersten Frage sind sich sast
alle Sohriftsteller darim elnlg, daß der Reichskanzler abgesehen
von seiner Stellung als Vorsitzender zugleich Mitglied des
Bundesrates ist, was aus den Worten „jedes andere Mitglied"
in Art. 15, Abf. 2 klar ersichllich ist.) Daraus folgt, daß, was
6) A. A. Hensel in Hirths Annalen 1882, S. 10 . Dieser sagt, der
Reichskanzler brauche nur Vorsitzender, aber nicht zugleich Mitglied des
Bundesrates gqu sein. Er beruft sich auf die Bekanntmachung vom 10. S.
1867, worin alle Bundesratsmitglleder uußer dem Bundeskansler, Grafen
von Bismarck, ansgegählt sind. Dies wurde aber als selbstverständlich
anßeracht gelassen. Dabei hal Bismarck damals selbst die Stimmen
Preußens geführt. (Vgl. hierüber Meyer, Lehrb., S. 434; Seydel, Krit.
Bierteljahresschr. 1I, S. 273.) Derselben Ansicht war Bismarck gegenüber
dem Abg. Hänel im Reichslage am 13. März 1877, Sten. Ber. I, S. 127:
„Der Herr Vorredner meinte, es sei unter anderem nicht möglich, daß der
Reichskanzler nicht zugleich die prenßischen Stimmen führe. Ich halte das
doch für möglich, ich halte es nicht für nützlich; der Reichskanzler braucht
nach der Verfassung, wie ich glaube, gar nicht Mitglied des Bundesrats
zu sein. Nach der Verfassung führt er den Vorsitz in demselben, und so-
weit ein Vorsitz ohne Mitgliedschaft denkbar ist, wäre es auch möglich, daß
or nicht Mitglied wäre“, am 24. Jan. 1883, Sten. Ber. S. 893 und seine
Ausführungen in den „Gedanken und Erinnerungen“ II, S. 397.
Bei dieser Auffassung hatte Fürst Bismarck wahrscheinlich weniger
den Wortlaut des Art. 15 als das charakteristische Merkmal der Stellung
des Reichskanzlers im Auge, der als Hauptzweck seiner Tätigkeit nicht so
sehr die Vertretung eines einzelnen Bundesstaates, als die gleichmäßige
Verfolgung der Reichsinteressen erstreben muß. (Vgl. die Erklärung des
Reichskanzlers Fürst Bülow in der Sitzung des Reichstags vom 1. Mai
1907, Sten. Ber., S. 1269: „Ich bin im Bundesrat nur Organ des Reichs
in seiner Gefamtheit und dabei stimmführender Vertreter Preußens, ich bin
nicht Organ für die Vertretung der Einzelinteressen der verschiedenen Bundes-
regierungen und Bundesstaaten. Für diese Jnteressen sind die Bundesrats-
vertreter die gegebenen Organe.“ Diese Auffassung findet auch eine Stütze
darin, daß die Ernennung des Reichskanzlers durch den Kaiser, nicht den
König von Preußen geschieht. Vgl. über letzteren Punkt Hänel, Stud. II,
S. 24, der mit Unrecht dem ungenauen Wortlaut der Verfassung ein zu
großes Gewicht beilegt. Durch den Verfassungstext wird nicht ausge-
schlossen, daß der Bundesratsvorsitzende Vertreter eines Bundesgliedes und
Mitglied des Bundesrates ist. Hänel, Stud. II, S. 26 f. will selbst die
Notwendigkeit der Mitgliedschaft des Reichskanzlers aus der Bezeichnung
„Präsidialstimme“ begründen, was aber von Hensel a. a. O. widerlegt wird.)