Full text: Der Geschäftsgang im Bundesrat.

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außerordentlichen Vorzug, der namentlich, je mehr Spielraum 
der Willkür geboten ist, um so schwerer ins Gewicht fällt, 
nämlich denjenigen, daß die Regierungen sich darüber geeinigt 
haben, was für einen anderen nicht so leicht zu erreichen sein 
wird. Warum haben sie sich darüber geeinigt? — weil hier 
zwar eine auch willkürliche Verteilung vorliegt, die aber 50 Jahre 
alt ist, und an die man sich 50 Jahre lang gewöhnt hat. Es 
hat in den Wünschen der Regierung gelegen, daß diesen Motiven 
gerade Ausdruck gegeben werde, daß sie deshalb, weil dieses 
Stimmenverhältnis ein hergebrachtes ist, schon in rechtlicher 
Geltung bestanden hat, ihm beigetreten sind, nicht aber des— 
halb, weil sie hierin gerade eine richtige Verteilung nach Macht, 
Einfluß und Bevölkerung gesehen haben.“17) 
In dieser Stimmverteilung liegt aber auch ein Schutz für 
die Einzelstaaten, die eine unbegrenzte Erweiterung der Reichs- 
kompetenz gemäß Art. 78 Reichsverfass. verhindern und so ihre 
Selbständigkeit erhalten können. Natürlich führt die geringe 
Berücksichtigung der Bevölkerungsziffern bisweilen zu eigen- 
tümlichen Resultaten. So lehnten im Jahre 1879 30 Stimmen, 
die eine Bevölkerung von 7½ Millionen vertraten, den An- 
trag von 28 Stimmen, die einer Bevölkerungsziffer von über 
33 Millionen entsprachen, ab. 1) Im allgemeinen sind aber 
solche Unzuträglichkeiten nicht hervorgetreten. 19) . · 
Bayern führt, wie oben erwähnt, 6, Sachsen und Württem— 
berg je 4, Baden und Hessen je 3, Mecklenburg-Schwerin und 
Braunschweig je 2, alle anderen Staaten je 1 Stimme. Dazu 
kommt noch Elsaß-Lothringen mit 3 Stimmen, sodaß die Gesamt- 
  
17) Ahnliche Gedanken entwickelte Fürst Bismarck später in der Sitzung 
des preußischen Abgeordnetenhauses am 11. Dez. 1867, Sten. Ber., S. 337. 
18) Es handelte sich hier um den Entwurf des Reichsstempelabgaben= 
gesetzes, wo die Stempelabgabe für Quittungen über Postanweisungen und 
Postvorschußsendungen abgelehnt wurde. 
19) Die zahlenmäßige Wertung der Stimmen läßt sich übrigens 
praktisch meistens nicht aufrechterhalten; denn abgesehen von seinen ver- 
schiedenen Sonderrechten bezüglich seiner Stimmführung im Plenum und 
seiner Vertretung in den Ausschüssen, besitzt Preußen gegenüber den übrigen 
Bundesstaaten ein natürliches, der geschichtlichen Entwicklung folgendes 
Übergewicht, das politisch bedeutsam, formal-juristisch jedoch nicht in die 
Erscheinung tritt.
	        
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