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ist also nicht nötig, daß sie den geschäftsordnungsmäßigen Weg
noch einmal durchlaufen.
Auch die Vertagung und Schließung des Bundesrates
stehen an sich im freien Ermessen des Kaisers. Ausnahmen
hiervon ergeben sich jedoch einmal dadurch, daß der Bundes-
rat nicht vertagt oder geschlossen werden kann, ohne daß nicht
zu gleicher Zeit der Reichstag vertagt, geschlossen oder auf-
gelöst wird. Dies ist nicht ausdrücklich bestimmt, ergibt sich
aber aus der im Art. 13 kundgegebenen Absicht der Reichs-
verfassung, den Reichstag nicht ohne den Bundesrat tagen zu
lassen. Der Kaiser kann aber auch dann nicht den Bundesrat
vertagen oder schließen, wenn ein Drittel der Stimmen sich
widersetzt. Dies folgt aus Art. 14 Reichsverfass., da darnach
eine sofortige neue Berufung verlangt werden kann.
Die Schließung des Bundesrates ist ebenfalls, wie schon
ausgeführt, praktisch bedeutungslos geworden, da der Bundes-
rat eine perennierende Versammlung geworden ist, ½) sodaß
auch die eben daran geknüpften Folgerungen gegenwärtig keinen
realen Wert mehr besitzen, wenn auch die diesbezüglichen Vor-
schriften formell noch in Kraft sind.
8§ 11. Die Bundesratssitzungen.
I. Verfassungsmäßig ist ein bestimmter Sitz des Bundes-
rates nicht festgesetzt. Es muß, da Art. 12 Reichsverfass. dem
Kaiser die Berufung und Eröffnung des Bundesrats zugesteht,
geschlossen werden, daß in diesem Rechte die Befugnis zur
Festsetzung von Zeit und Ort des Zusammentritts enthalten
ist.!) Entsprechend der Bedeutung Preußens im Reiche und
im Bundesrate hat dieser nunmehr seinen ständigen Sitz natür-
licherweise in Berlin als der Hauptstadt Preußens und des
Reiches. Der Sitzungssaal des Bundesrates und die zugehörigen
Nebenräume befinden sich im Südostteile des Reichstagsgebäudes.
Die Besetzung der im Sitzungssale halbkreisförmig angeordneten
19) Dadurch ist die äußere Ahnlichkeit mit dem Reichstage ver-
schwunden. "
1) Ebenso v. Seydel, Jahrb. III, S. 292; Zorn, Staatsr. 1, S. 167.