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1885 zu Leipzig als Sohn des bekannten Augenarztes Sanitäts-
rats Dr. Schwabe geboren, war trotz seiner Jugend schon ein
meerbefahrener Mann. Er hatte vor dem Kriege eine längere
Amerikareise als Schiffsarzt des Norddeutschen Lloyd unter-
nommen, war dann Anfang Mai 1914 als Assistenzart
beim 77. Artillerieregiment in Leipzig eingetreten, aber als-
bald auf seinen Wunsch auf längeren Auslandsurlaub nach
Ostasien entlassen, wohin er sich als Schiffsarzt der „Fri-
sia“ begab. Nun fuhr er unversehens auf einem deutschen
Kriegsschiff dem Kriege in fernen Meeren entgegen.
Auf der Insel Pagan traf die „Emden“ mit dem Osi-
asien-Geschwader zusammen, und Dr. Schwabe wurde dem
Admiral Grafen Spee vorgestellt. Er erntete für sein Be-
mühen, die durch das monatelange Umherfahren und er-
gebnislose Lauern auf den Feind etwas mürbe gewordene
Mannschaft der „Emden“ mit allen Kräften erheitert und
aufgefrischt zu haben, das Lob des Admirals.
Mitte Mal erhielten die Eltern in Leipzig einen offenen, ver-
gilbten Brief mitenglischem
Stempel von der „Emden"“:
Liebe Eltern!
Ihr werdet Euch freuen,
wieder einmal ctwas von
mir zu hören! Gebe Gott,
daß Ihr und Hans ((Bruder).
ebenso gesund seid, wie ich
es bin. Ich bin von Tsing-
tau, wo meine Sachen lie-
gen (— boffentlich noch —)
an Bord der „Emden' kom-
mandiert worden, nachdem
ich vier Tage als Assistenz=
arzt in den Festungsan=
lagen Verwendung gefun-
den hatte.
Wir weilen augenblick-
lich in der Nähe von Colom-
bo, wo wir auf hoher See
Kohlen nehmen.“
Unsere Tätigkeit bestand
in einem ausgiebigen Kaper-
kriege. is Dampfer von zusammen 35—40 Millionen Wert,
von denen wir 11 teils in die Luft sprengten, teils zerschossen.
Die Offiziere und Mannschaften wurden an Land gesetzt.
Von der Beschießung von „Madras“ durch die „Em-
den“ werdet Ihr eventuell in den Zeitungen gelesen haben.
Wir schossen ungefähr 130 Schuß und brachten damit zwei
grosse Olreservoirs und einige Häuser in Brand usw. —
Mein Schiff „Frisia“ (Anmerkung: Mit diesem Ham-
burg-Amerika-lo doo To.-Dampfer fuhr Dr. Schwabe Mai
1914 nach Ostasien) ist aus Tsingtau mit Kohlen für die
deutsche Marine ausgelaufen und leider von den Eng-
ländern gekapert worden. Sie liegt jetzt in Hongkong.
Lebt alle herzlich wohl!
Nach dem unseligen Kriege werden wir eventuell nach
Tsingtau zurückkehren, was augenblicklich noch deutsch ist
und wohl auch deutsch bleiben wird. Ich hoffe über Si-
birien heimzukebren.
Euer dankbarer Ludwig.
Schon am 9. November 1914 geriet die „Emden“ mit
dem englischen Kreuzer „Sidney“ ins Gefecht und lief
auf eine Klippe auf. Sie wurde Wrack geschossen. In
diesem verlustreichen Gefechte wurde auch Dr. Schwabe
zweimal verwundet. Sein Aufenthaltsort war der in der
Tiefe des Schiffes gelegene und panzergeschützte Ruder-
maschinen-NRaum, den er mit dem Oberzahlmeister und dem
Obersanitätomaat teilte. Rauch und Gas vertrieb die drei
Erinnerungsstein für- den Arzt der- Eiden- auf dem Südfriedhof am
Fuße des Völkerschlachtdenkmas
in die benachbarte, ungeschützte Arzt-Kabine. Und kurz
darauf schlug hier eine Granate ein, tötete den Oberzahl=
meister und den Obermaschinistenmaat, riß dem Arzt, der
im Vorraum der Kabine stand, vier Zehen vom rechten
Fuße und ein Loch in den Rücken. Mit letzten Kräften
kroch Dr. Schwabe durch das zerschossene Bullauge aus der
brennenden Kabine ins Freie und half weiter an Deck.
Später versuchte er durch die starke Brandung nach der
nahen Insel — sie war etwa 70 Meter entfernt — her-
überzuschwimmen.
Über die Stunden auf der Kokooinsel, die nun folgen,
gibt der schlichte Brief eines Kameraden an den Vater
Dr. Schwabes Kunde. Bootsmannsmaat Josef Buszinski,
einige Tage nach dem Gefecht bei der Kokosinsel ampu-
tiert, als die Engländer ihn von der Kokosinsel abgeholt
hatten, später aus englischer Gefangenschaft entlassen,
schreibt aus dem Marinehospital Hamburg:
— — — Wir waren schon vernichtet und fuhren der
Insel zu. Am dritten Ge-
schütz war aber auch schon
alles tot. Da meine Kraft
schwand, lehnte ich mich an
der Reeling. Als ich plötz-
lich durch das Auflaufen
des Schiffes und Einschla-
gen der Granaten über
Bord geschleudert wurde.
Dem Ertrinken nahe, nahm
ich meine Kraft zusammen
und es gelang mir nach
4½ stündigem Schwimmen
den Strand zu erreichen.
Als ich festen Boden unter
den Füßen hatte, war mein
Gedanke nach Kameraden
zu suchen. Nach etwa zehn
Minuten fand ich in einer
Lichtung einige meiner Ka-
meraden. Ich legte mich
unter eine Palme. Dahörte
ich, wie einige sagten, es
läge abseits Herr Oberarzt
Dr. Schwabe. Da meine Kameraden noch etwas bei Kraft
waren, so beschlossen wir, den Oberarzt zu uns zu holen,
denn er lag ganz alleine und der Gefahr der Sonne und
des Ungeziefers zu sehr ausegesetzt. Mit vieler Mühe ge-
lang es ihnen, den Herrn Oberarzt zu uns zu bringen. Da
ich gerade unter einer schattigen Palme lag, wurde auch
er zu mir gelegt. Wie der Herr Oberarzt an Land ge-
kommen ist, kann ich nicht sagen, auch sind meine anderen
Kameraden noch in Gefangenschaft. Da diese Zeit uns
nur an die schweren Stunden erinnerte, haben wir auch
nie mehr darüber gesprochen.
Der Herr Oberarzt und ich lagen unter der Palme,
meine anderen Kameraden lagen ziemlich verstreut, weil
jeder Schutz wegen der Sonne nahm. Da wir an Land
völlig von Bord abgeschlossen waren und sich auch an
Land keine Bewohner befanden, machten sich einige un-
serer Leute auf, um Wasser zu holen, denn der Oberarzt
und wir hatten großen Durst. Da die Hitze sehr groß war,
haben wir zum Schutze einige Palmen über ihn gelegt,
denn er konnte sich nicht mehr rühren, da er am Rücken
verwundet war und vier Zehen vom rechten Fuß ihm ab-
gerissen waren.
Als die Kameraden, die nach Wasser fort waren, zurück-
kamen, sagten sie uns, daß auf dieser Insel kein Wasser
zu haben sei, ja gar nichts, nichts Genießbares außer
Kokosnüsse, die meine Kameraden von den hohen Kokos-
palmen nicht herunterholen konnten. Da sagte der Ober-