Full text: Sachsen in großer Zeit. Band I. (1)

94 
1885 zu Leipzig als Sohn des bekannten Augenarztes Sanitäts- 
rats Dr. Schwabe geboren, war trotz seiner Jugend schon ein 
meerbefahrener Mann. Er hatte vor dem Kriege eine längere 
Amerikareise als Schiffsarzt des Norddeutschen Lloyd unter- 
nommen, war dann Anfang Mai 1914 als Assistenzart 
beim 77. Artillerieregiment in Leipzig eingetreten, aber als- 
bald auf seinen Wunsch auf längeren Auslandsurlaub nach 
Ostasien entlassen, wohin er sich als Schiffsarzt der „Fri- 
sia“ begab. Nun fuhr er unversehens auf einem deutschen 
Kriegsschiff dem Kriege in fernen Meeren entgegen. 
Auf der Insel Pagan traf die „Emden“ mit dem Osi- 
asien-Geschwader zusammen, und Dr. Schwabe wurde dem 
Admiral Grafen Spee vorgestellt. Er erntete für sein Be- 
mühen, die durch das monatelange Umherfahren und er- 
gebnislose Lauern auf den Feind etwas mürbe gewordene 
Mannschaft der „Emden“ mit allen Kräften erheitert und 
aufgefrischt zu haben, das Lob des Admirals. 
Mitte Mal erhielten die Eltern in Leipzig einen offenen, ver- 
gilbten Brief mitenglischem 
Stempel von der „Emden"“: 
Liebe Eltern! 
Ihr werdet Euch freuen, 
wieder einmal ctwas von 
mir zu hören! Gebe Gott, 
daß Ihr und Hans ((Bruder). 
ebenso gesund seid, wie ich 
es bin. Ich bin von Tsing- 
tau, wo meine Sachen lie- 
gen (— boffentlich noch —) 
an Bord der „Emden' kom- 
mandiert worden, nachdem 
ich vier Tage als Assistenz= 
arzt in den Festungsan= 
lagen Verwendung gefun- 
den hatte. 
Wir weilen augenblick- 
lich in der Nähe von Colom- 
bo, wo wir auf hoher See 
Kohlen nehmen.“ 
Unsere Tätigkeit bestand 
in einem ausgiebigen Kaper- 
kriege. is Dampfer von zusammen 35—40 Millionen Wert, 
von denen wir 11 teils in die Luft sprengten, teils zerschossen. 
Die Offiziere und Mannschaften wurden an Land gesetzt. 
Von der Beschießung von „Madras“ durch die „Em- 
den“ werdet Ihr eventuell in den Zeitungen gelesen haben. 
Wir schossen ungefähr 130 Schuß und brachten damit zwei 
grosse Olreservoirs und einige Häuser in Brand usw. — 
Mein Schiff „Frisia“ (Anmerkung: Mit diesem Ham- 
burg-Amerika-lo doo To.-Dampfer fuhr Dr. Schwabe Mai 
1914 nach Ostasien) ist aus Tsingtau mit Kohlen für die 
deutsche Marine ausgelaufen und leider von den Eng- 
ländern gekapert worden. Sie liegt jetzt in Hongkong. 
Lebt alle herzlich wohl! 
Nach dem unseligen Kriege werden wir eventuell nach 
Tsingtau zurückkehren, was augenblicklich noch deutsch ist 
und wohl auch deutsch bleiben wird. Ich hoffe über Si- 
birien heimzukebren. 
Euer dankbarer Ludwig. 
Schon am 9. November 1914 geriet die „Emden“ mit 
dem englischen Kreuzer „Sidney“ ins Gefecht und lief 
auf eine Klippe auf. Sie wurde Wrack geschossen. In 
diesem verlustreichen Gefechte wurde auch Dr. Schwabe 
zweimal verwundet. Sein Aufenthaltsort war der in der 
Tiefe des Schiffes gelegene und panzergeschützte Ruder- 
maschinen-NRaum, den er mit dem Oberzahlmeister und dem 
Obersanitätomaat teilte. Rauch und Gas vertrieb die drei 
  
Erinnerungsstein für- den Arzt der- Eiden- auf dem Südfriedhof am 
Fuße des Völkerschlachtdenkmas 
in die benachbarte, ungeschützte Arzt-Kabine. Und kurz 
darauf schlug hier eine Granate ein, tötete den Oberzahl= 
meister und den Obermaschinistenmaat, riß dem Arzt, der 
im Vorraum der Kabine stand, vier Zehen vom rechten 
Fuße und ein Loch in den Rücken. Mit letzten Kräften 
kroch Dr. Schwabe durch das zerschossene Bullauge aus der 
brennenden Kabine ins Freie und half weiter an Deck. 
Später versuchte er durch die starke Brandung nach der 
nahen Insel — sie war etwa 70 Meter entfernt — her- 
überzuschwimmen. 
Über die Stunden auf der Kokooinsel, die nun folgen, 
gibt der schlichte Brief eines Kameraden an den Vater 
Dr. Schwabes Kunde. Bootsmannsmaat Josef Buszinski, 
einige Tage nach dem Gefecht bei der Kokosinsel ampu- 
tiert, als die Engländer ihn von der Kokosinsel abgeholt 
hatten, später aus englischer Gefangenschaft entlassen, 
schreibt aus dem Marinehospital Hamburg: 
— — — Wir waren schon vernichtet und fuhren der 
Insel zu. Am dritten Ge- 
schütz war aber auch schon 
alles tot. Da meine Kraft 
schwand, lehnte ich mich an 
der Reeling. Als ich plötz- 
lich durch das Auflaufen 
des Schiffes und Einschla- 
gen der Granaten über 
Bord geschleudert wurde. 
Dem Ertrinken nahe, nahm 
ich meine Kraft zusammen 
und es gelang mir nach 
4½ stündigem Schwimmen 
den Strand zu erreichen. 
Als ich festen Boden unter 
den Füßen hatte, war mein 
Gedanke nach Kameraden 
zu suchen. Nach etwa zehn 
Minuten fand ich in einer 
Lichtung einige meiner Ka- 
meraden. Ich legte mich 
unter eine Palme. Dahörte 
ich, wie einige sagten, es 
läge abseits Herr Oberarzt 
Dr. Schwabe. Da meine Kameraden noch etwas bei Kraft 
waren, so beschlossen wir, den Oberarzt zu uns zu holen, 
denn er lag ganz alleine und der Gefahr der Sonne und 
des Ungeziefers zu sehr ausegesetzt. Mit vieler Mühe ge- 
lang es ihnen, den Herrn Oberarzt zu uns zu bringen. Da 
ich gerade unter einer schattigen Palme lag, wurde auch 
er zu mir gelegt. Wie der Herr Oberarzt an Land ge- 
kommen ist, kann ich nicht sagen, auch sind meine anderen 
Kameraden noch in Gefangenschaft. Da diese Zeit uns 
nur an die schweren Stunden erinnerte, haben wir auch 
nie mehr darüber gesprochen. 
Der Herr Oberarzt und ich lagen unter der Palme, 
meine anderen Kameraden lagen ziemlich verstreut, weil 
jeder Schutz wegen der Sonne nahm. Da wir an Land 
völlig von Bord abgeschlossen waren und sich auch an 
Land keine Bewohner befanden, machten sich einige un- 
serer Leute auf, um Wasser zu holen, denn der Oberarzt 
und wir hatten großen Durst. Da die Hitze sehr groß war, 
haben wir zum Schutze einige Palmen über ihn gelegt, 
denn er konnte sich nicht mehr rühren, da er am Rücken 
verwundet war und vier Zehen vom rechten Fuß ihm ab- 
gerissen waren. 
Als die Kameraden, die nach Wasser fort waren, zurück- 
kamen, sagten sie uns, daß auf dieser Insel kein Wasser 
zu haben sei, ja gar nichts, nichts Genießbares außer 
Kokosnüsse, die meine Kameraden von den hohen Kokos- 
palmen nicht herunterholen konnten. Da sagte der Ober-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.