98
eine stieß den andern mit dem Ellbogen: „Na, Gustav,
wos sogste nu? Itze kan's lusgiehe!“
„Ward a Zeit! Dos ewige Post'nstiehe kriegt mr
ball soht — wenn mr nur amol paar sulche Kosak'n-
ludersch drwisch'n könnt'n — na, an mir sfull's net
lieg'n!“
Karl und Gustav waren beide aus einem Ort, hatten
zusammen die Schulbank gedrückt, bei einem Regiment ihre
Dienstzeit geleistet und waren bei Ausbruch des Krieges in
das Landwehr-Batl. Nr. .. eingestellt worden. Ihrem
treuen Zusammenhalten verdankten sie es, daß sie auch zu
einer Kompagnie kamen und in der Front nebeneinander
standen.
Hinaus ging es in die stockfinstere Nacht! Straßen
bestehen in Russisch-Polen nur dem Namen nach! Sand,
zuweilen ¼ Meter tief, Schlamm, Sumpf, das sind hier
die Straßen, die meilenweit eine Ortschaft mit der andern
verbinden. Es regnete und stürmte. Gespensterhaft tauchten
rechts und links des Weges verkrüppelte Bäume und Wach-
holderbüsche auf. Scharf blickten so0
deutsche Soldatenaugen in die Finsternis
hinein — zuweilen ertönte ein kräftiger
Soldatenfluch in den Sturm hinein,
wenn einer über eine heimtückische
Baumwurzel stolperte. Doch vorwärts
ging'o, allem Regen, Sturm und
schlechten Wegen zum Trotz. —
Die Spitze marschierte in einiger
Entfernung vor der Kompagnie mit
zehn Schritt Abstand von Mann zu
Mann ausgeschwärmt. Karl und Gustav
immer nebeneinander.
„Kreizdunner un Doria!“
„Wos ie dä lus, Karl?“
„Hiegelaadert hots miech! — Dos
wer. Rußland!“
Gustav lachte leise. „Rußland is
net Sachs'n!“
„Do denkt mr ober an drhamm!“
murmelte Karl, und krabbelte unter
kräftigen erzgebirgischen Schimpfworten
wieder in die Höhe.
Vorwärts geht's über Stock und
Stein. Wälder, aus Kiefern und
Laubbäumen bestehend, große Flächen
mit Wachholderbüschen wechseln mit
großen Sandflächen ab, kleine Wasserläufe und Sümpfe
treten in den Weg.
Wln alle Hindernisse werden überwunden — vorwärts
geht's.
Langsam zieht schon die Morgendämmerung herauf. Der
Regen läßt nach, auch der Wind hat sich gelegt. Die aus-
geschwärmte Spitze tritt jetzt aus dem Wald heraus und
schleicht auf das zwischen Kiefern liegende armselige Dorf
Z. zu. Keine Wohnhäuser, nur kleine, windschiefe, zer-
fallene Hütten sind es, die hier der polnische Bauer bewohnt.
Hunde bellen auf. Jeder Bauer hat zwei, auch drei Hunde,
denn in Rußland gibt es keine Hundesteuer. Mit aufge-
pflanztem Seitengewehr dringen die 8 Mann in das erste
Gehöft, pochen an die wacklige Haustür. Schnell öffnet
sich diese und ein ängstliches, fast blödes Bauerngesicht
wird sichtbar. Nur mit Hemd und Unterhose bekleidet,
fäbrt der Bauer zurück, als er die Seitengewehrspitzen
blitzen sieht.
„Sind Kosaken hier?“ fragt der Unteroffizier.
Der arme Bauer schüttelt seine struppige Mähne. „Mof
Panie, ja nie potrafiem po niemiecku.“ (Meine Herren,
ich spreche nicht deutsch.)
Die Neun sahen einander verduzt an — keiner verstand
die polnische Sprache.
„Alt's Gemahr!“ platzte da Gustav heraus. „Kannste däa
net deitsch red'n? Dei pulisches Gelatsch vorstiehn mir net!“
Alle lachten. Und der Bauer schüttelte immer wieder
sein schwarzes Haupt. Gustav schimpfte: „Su a Bleischof,
vsrstieht net amol huchdeitsch!“
Von Gehöft ging es nun zu Gehöft — alles wurde
durchstäbert — beine Maus wurde gefunden.
Da — als die kleine Kolonne ziemlich am Aucgange
des Dorfes angelangt war, bemerkt sie, wie zwei — drei
Reiter um die Ecke sausten und nach dem Walde zu
verschwanden.
„Karl, das sei Kosaken!“ schrie Gustav, und beide
rannten wie der Teufel dahinterher nach dem Walde zu.
Die andern folgten im Laufschritt.
Schuß auf Schuß krachte jetzt durch die Morgenstille.
— Sssst — ssst — ssst! sang es durch den, Wald — das
Echo dieses todbringenden Sanges brach sich an den starken
Stämmen der uralten Eichenbäume.
Von allen Seiten sah man jetzt die
« erdfarbenen feindlichen Reiter auf-
tauchen und verschwinden. Inzwischen
war die Kompagnie herangekommen,
doch gab es für sie keine Arbeit
mehr. — Fünf Kosaken lagen tot auf
der Wahlstatt — zehn waren ent-
kommen. Der Hauptmann ließ die
Kompagvie sammeln — es gab keine
Verluste, aber die beiden Erzgebirgler
fehlten noch. Schon wollte der Haupt-
mann einige Leute nach ihnen senden,
doch da tauchten beide auch schon
drüben am Waldrande auf. Gusiav
führte ein Kosakenpferd am Zügel,
während Karl einen Kosaken vor sich
hertrieb. Mit Hallo wurden sie emp-
fangen. Sie hatten den Führer der
feindlichen Abteilung gefangen!
„Brav gemacht, Kinder!“ sagte
der Hauptmann und gab beiden seine
Hand. -
„Harr Hauptmann, iech hätt' anne
Der erzgebirgische Dichter Albert Räppel aus Bitte!“ platzte da Gustav heraus.
Annaberg, gefallen im Weltkriege
„Immer heraus mit der Sprache!“
meinte der Hauptmann.
„Hier, Harr Hauptmann, dann krumme Kosak'nsabel
könnt' iech gut gebrauch'n.“ Dabei schwang er den Säbel
durch die Luft und machte ein dummes Gesicht dabei.
„Den Säbel! — hm — ja, was wollen Sie mit
dem Dings da machen?“
„Harr Hauptmann — mei Gung, wos dr Fritz is,
dar will garn en Russ'nsabel hoom — zum Soldat'nspieln;
— ar is namlich do a Hauptmann, drhamm bei seiner
Kompagnie!“
Alle lachten, und der Hauptmann lachte mit. „Om,
hm,“ machte er, „Beutestücke müssen eigentlich abgeliefert
werden — aber Ihr Kleiner muß als Hauptmann natürlich
einen Säbel haben — ieh werde es verantworten!“
Und der kleine Fritz sollte seinen „Russensabel“ haben.
Wie wird er sich darüber freuen.
Die beiden braven Erzgebirgler aber, die seitdem schon
manche heiße Schlacht in Russisch-Polen mitgemacht haben,
schmückt schon lange das Eiserne Kreuz!
Gefr. Albert Räppel 1
(erzgebirgischer Dichter aus Annaberg).