Full text: Sachsen in großer Zeit. Band I. (1)

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eine stieß den andern mit dem Ellbogen: „Na, Gustav, 
wos sogste nu? Itze kan's lusgiehe!“ 
„Ward a Zeit! Dos ewige Post'nstiehe kriegt mr 
ball soht — wenn mr nur amol paar sulche Kosak'n- 
ludersch drwisch'n könnt'n — na, an mir sfull's net 
lieg'n!“ 
Karl und Gustav waren beide aus einem Ort, hatten 
zusammen die Schulbank gedrückt, bei einem Regiment ihre 
Dienstzeit geleistet und waren bei Ausbruch des Krieges in 
das Landwehr-Batl. Nr. .. eingestellt worden. Ihrem 
treuen Zusammenhalten verdankten sie es, daß sie auch zu 
einer Kompagnie kamen und in der Front nebeneinander 
standen. 
Hinaus ging es in die stockfinstere Nacht! Straßen 
bestehen in Russisch-Polen nur dem Namen nach! Sand, 
zuweilen ¼ Meter tief, Schlamm, Sumpf, das sind hier 
die Straßen, die meilenweit eine Ortschaft mit der andern 
verbinden. Es regnete und stürmte. Gespensterhaft tauchten 
rechts und links des Weges verkrüppelte Bäume und Wach- 
holderbüsche auf. Scharf blickten so0 
deutsche Soldatenaugen in die Finsternis 
hinein — zuweilen ertönte ein kräftiger 
Soldatenfluch in den Sturm hinein, 
wenn einer über eine heimtückische 
Baumwurzel stolperte. Doch vorwärts 
ging'o, allem Regen, Sturm und 
schlechten Wegen zum Trotz. — 
Die Spitze marschierte in einiger 
Entfernung vor der Kompagnie mit 
zehn Schritt Abstand von Mann zu 
Mann ausgeschwärmt. Karl und Gustav 
immer nebeneinander. 
„Kreizdunner un Doria!“ 
„Wos ie dä lus, Karl?“ 
„Hiegelaadert hots miech! — Dos 
wer. Rußland!“ 
Gustav lachte leise. „Rußland is 
net Sachs'n!“ 
„Do denkt mr ober an drhamm!“ 
murmelte Karl, und krabbelte unter 
kräftigen erzgebirgischen Schimpfworten 
wieder in die Höhe. 
Vorwärts geht's über Stock und 
Stein. Wälder, aus Kiefern und 
Laubbäumen bestehend, große Flächen 
mit Wachholderbüschen wechseln mit 
großen Sandflächen ab, kleine Wasserläufe und Sümpfe 
treten in den Weg. 
Wln alle Hindernisse werden überwunden — vorwärts 
geht's. 
Langsam zieht schon die Morgendämmerung herauf. Der 
Regen läßt nach, auch der Wind hat sich gelegt. Die aus- 
geschwärmte Spitze tritt jetzt aus dem Wald heraus und 
schleicht auf das zwischen Kiefern liegende armselige Dorf 
Z. zu. Keine Wohnhäuser, nur kleine, windschiefe, zer- 
fallene Hütten sind es, die hier der polnische Bauer bewohnt. 
Hunde bellen auf. Jeder Bauer hat zwei, auch drei Hunde, 
denn in Rußland gibt es keine Hundesteuer. Mit aufge- 
pflanztem Seitengewehr dringen die 8 Mann in das erste 
Gehöft, pochen an die wacklige Haustür. Schnell öffnet 
sich diese und ein ängstliches, fast blödes Bauerngesicht 
wird sichtbar. Nur mit Hemd und Unterhose bekleidet, 
fäbrt der Bauer zurück, als er die Seitengewehrspitzen 
blitzen sieht. 
„Sind Kosaken hier?“ fragt der Unteroffizier. 
Der arme Bauer schüttelt seine struppige Mähne. „Mof 
Panie, ja nie potrafiem po niemiecku.“ (Meine Herren, 
ich spreche nicht deutsch.) 
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
   
Die Neun sahen einander verduzt an — keiner verstand 
die polnische Sprache. 
„Alt's Gemahr!“ platzte da Gustav heraus. „Kannste däa 
net deitsch red'n? Dei pulisches Gelatsch vorstiehn mir net!“ 
Alle lachten. Und der Bauer schüttelte immer wieder 
sein schwarzes Haupt. Gustav schimpfte: „Su a Bleischof, 
vsrstieht net amol huchdeitsch!“ 
Von Gehöft ging es nun zu Gehöft — alles wurde 
durchstäbert — beine Maus wurde gefunden. 
Da — als die kleine Kolonne ziemlich am Aucgange 
des Dorfes angelangt war, bemerkt sie, wie zwei — drei 
Reiter um die Ecke sausten und nach dem Walde zu 
verschwanden. 
„Karl, das sei Kosaken!“ schrie Gustav, und beide 
rannten wie der Teufel dahinterher nach dem Walde zu. 
Die andern folgten im Laufschritt. 
Schuß auf Schuß krachte jetzt durch die Morgenstille. 
— Sssst — ssst — ssst! sang es durch den, Wald — das 
Echo dieses todbringenden Sanges brach sich an den starken 
Stämmen der uralten Eichenbäume. 
Von allen Seiten sah man jetzt die 
« erdfarbenen feindlichen Reiter auf- 
tauchen und verschwinden. Inzwischen 
war die Kompagnie herangekommen, 
doch gab es für sie keine Arbeit 
mehr. — Fünf Kosaken lagen tot auf 
der Wahlstatt — zehn waren ent- 
kommen. Der Hauptmann ließ die 
Kompagvie sammeln — es gab keine 
Verluste, aber die beiden Erzgebirgler 
fehlten noch. Schon wollte der Haupt- 
mann einige Leute nach ihnen senden, 
doch da tauchten beide auch schon 
drüben am Waldrande auf. Gusiav 
führte ein Kosakenpferd am Zügel, 
während Karl einen Kosaken vor sich 
hertrieb. Mit Hallo wurden sie emp- 
fangen. Sie hatten den Führer der 
feindlichen Abteilung gefangen! 
„Brav gemacht, Kinder!“ sagte 
der Hauptmann und gab beiden seine 
Hand. - 
„Harr Hauptmann, iech hätt' anne 
Der erzgebirgische Dichter Albert Räppel aus Bitte!“ platzte da Gustav heraus. 
Annaberg, gefallen im Weltkriege 
„Immer heraus mit der Sprache!“ 
meinte der Hauptmann. 
„Hier, Harr Hauptmann, dann krumme Kosak'nsabel 
könnt' iech gut gebrauch'n.“ Dabei schwang er den Säbel 
durch die Luft und machte ein dummes Gesicht dabei. 
„Den Säbel! — hm — ja, was wollen Sie mit 
dem Dings da machen?“ 
„Harr Hauptmann — mei Gung, wos dr Fritz is, 
dar will garn en Russ'nsabel hoom — zum Soldat'nspieln; 
— ar is namlich do a Hauptmann, drhamm bei seiner 
Kompagnie!“ 
Alle lachten, und der Hauptmann lachte mit. „Om, 
hm,“ machte er, „Beutestücke müssen eigentlich abgeliefert 
werden — aber Ihr Kleiner muß als Hauptmann natürlich 
einen Säbel haben — ieh werde es verantworten!“ 
Und der kleine Fritz sollte seinen „Russensabel“ haben. 
Wie wird er sich darüber freuen. 
Die beiden braven Erzgebirgler aber, die seitdem schon 
manche heiße Schlacht in Russisch-Polen mitgemacht haben, 
schmückt schon lange das Eiserne Kreuz! 
Gefr. Albert Räppel 1 
(erzgebirgischer Dichter aus Annaberg).
	        
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