Full text: Sachsen in großer Zeit. Band I. (1)

So kam auch der Schneeschuhsport zu 
Ehren und führte 14 Skikundige vom 
Infanterie-Regiment 178 auf besondere 
Wege und zu eigenartigen Erlebnissen, 
nachdem sie schon den Vormarsch im 
Westen bis zur Marne hinter sich hatten. 
Vier davon Marienberger Unteroffiziere 
und 10 Mann. Sie erhielten am 28. des 
Christmonds im ewig denkwürdigen Jahre 
1914 vom Offizierstellvertreter Schnorr= 
busch ihre Papiere und, in Osterreicher 
verwandelt, mit Rucksack, Karabiner, Skier 
und 2 Stöcken ausgerüstet, mit weißem 
Schneeanzug, Schnürschuhen und Wickel- 
gamaschen verf#ehen, auf den Patten 82 
so dampfte unsere kriegserprobte kleine 
Schar von Kamenz, ihrer Garnison, nach 
der Großstadt des Wintersports, nach 
München. Ein achttägiger Aufenthalt in 
Isar-Athen, in einer Schule, mit dem Blick 
auf die smaragdgrünen, rauschenden Fluten 
der Isar, war mehr Erholungs= und Kräf- 
tigungs-Aufenthalt und ließ die in Frank- 
reich überstandenen Leiden und Entbehrun- 
gen dank der begeisterten Aufnahme in 
Bayerns Hauptstadt völlig vergessen, zu- 
mal noch keiner von uns je diesen Boden 
betreten hatte. Mit Kriegslöhnung in der 
Tasche, zu Mittag verpflegt im Kindlkeller. 
Und das Bier! Echtes bayrisches Bier noch 
zu Friedens-Güte und Preisen — Siloester- 
Feierstimmung. Das bedeutete brausendes 
Veben für sie, denn es gab ja bei der Zu- 
sammenstellung des Schneeschuhbataillons 
feinen Dienst. " 
Als dann am 5. Januar 1915, nach- 
mittags 5 Uhr, nach einem denkwürdigen 
Zuge durch die Hauptstraßen der Stadt, 
von der Frauenwelt mit Blumen geschmückt, 
mit Liebesgaben aller Art die Taschen 
gefüllt, die Reise weiter ins bayrische Hoch- 
land, nach Garmisch-Partenkirchen ange- 
treten wurde, da drang ein Seufzer der 
Erleichterung von den Lippen der Krieger, 
denn „nichts ist schwerer zu ertragen, als 
ene Reihe von guten Tagen“. Dahin 
brauste der Zug durch die Mitternacht. 
Nach vierstündiger Fahrt ein langsamer 
werdendes Tempo, weiße Bogenlichter 
flammten auf, der schmelternde Klang 
einer Murikkapelle schlug an das Ohr der 
Verträumt. n. Garmisch, der Winter- 
kurort, war erreicht. Winterfrischler, ele- 
gante We blichkeit, so mancher Ausländer, 
standen zum Empfang bereit. Jetzt hieß 
es, die dritte Kompagnie, in ihren Reihen 
unsere vierzehn, auf nach Parten- 
kirchen! Gleich den Gästen und Frem- 
den wurden sie hier in Bürgerquartieren 
aufs feinste untergebracht, denn die 
Partenkirchener mochten im stillen sich 
sagen: Sie sollen es gut haben, die 
Kameraden unzerer Söhne und Männer, 
denn wer weiß, wie eine gleiche Aufnahme 
von letzteren einmal dankbar empfunden 
wird. Einige waren bet einer Schutzmanns- 
frau untergebracht. Nachdem die fleißige 
Frau eine wärmende Suppe aufgetischt hatte, folgte ein 
bayrisches Gericht, das unseren Sachsen ganz besonders 
  
  
  
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mundete: Kalbshaxe mit Kartoffelsalat. 
Nach reichlichem Mahl erfreute sie auch 
noch Kaffee und Kuchen. So ließe sich 
der Krieg wohl ertragen! 
Am nächsten Tage Probefahrten an 
der Dreitorspitze, Vorpostenaufstellungen, 
Patrouillenfahrten. Aber auch wirkliche 
Fahrten, mit einem Pferd'l voraus: Solches 
Skikring, bei dem der Schnee stiebte, 
batten die Sachsen noch nicht erprobt. 
Doch das tat nichts; sie zeigten, daß unser 
Erzgebirge gute erzieherische Wirkung ge- 
habt. Ja, ihre Tüchtigkeit fand Anerken- 
nung. Man nannte sie „sächsische Si- 
birier“. Neben dem Sport auch das 
Vergnügen! So boten die weiblichen An- 
fängerinnen im Wintersport Spaß und 
Gelegenheit zur Belustigung. 10 Tage 
strichen dabei vorüber und wieder saß 
„827 im rollenden Zuge, der Buchhandels- 
stadt Leipzig zu, neue Eindrücke weckend. 
zwei Tage in Leipzigs Mauern bei stetiger 
Alarmbereitschaft im „Schloßkeller“ zu 
Neudnitz! 
Schwere und ernste Tage folgten den 
frohen. Mitte Januar sah unser Schnee- 
schuh-Bataillon Königsberg, das dank 
eines stärkenden Mittagsmahles noch gut 
in Erinnerung ist. In Insterburg ver- 
ließen sie den Zug und wohin auch das 
Auge blickte, zeigten sich ihnen die Spuren 
der vergangenen furchtbaren Kämpfe. In 
der dortigen Kaserne wurden sie unter- 
gebracht. Dort ein wüstes und schmutziges 
Kriegsbild! Die Schränke und Türrahmen 
zerschlagen und zum Feuern benutzt! Den 
nächsten Morgen wirbelte es in unserem 
Bataillon durcheinander. Liebesgaben wur- 
den verteilt, auf 8 Tage Lebensmittel ge- 
faßt, und die letzten Vorbereitungen zur 
großen Fahrt in den russischen Winter 
hinein getroffen. Mit „Ski Heil“ traten 
um 1 Uhr mittags in Richtung nach 
Gumbinnen unsere vierzehn 178er den 
Vormarsch zum zweiten Male an. Ein 
eigenartiges Bild, solch ein Schneeschub- 
bataillon auf dem Marsche. Die Langhölzer 
zwangen die Glieder von 2 Läufern zu 
einem Abstand von 3 Metern, so daß die 
volle kriegsstarke Kompagnie von 250 
Mann einer 800 Meter langen Kette glich, 
die sich durch den aufstiebenden Schnee 
dem Osten zu dahinschlängelte. In flottem 
Lauf, die schwere Last der Ausrüsiung bei 
steigendem Gelände kräftig verwünschend, 
erreichten unsere Skierläufer 4 Uhr nachts 
Gumbinnen, wo schnell gekochter Kaffee 
sie erfrischte. Trotz der mildernden Schnec- 
decke ist für den Teilnehmer dieser Fahrt 
der Eindruck gerade im Gegensatz zu dem 
Vormarsch durch Belgien und Frankreich 
ein derartiger geworden, daß der Eindruck, 
den das Bild der Verwüstung an den 
Häusern, in den Ställen, auf den Höfen, 
in den Straßen hervorrief, durch die Be- 
zeichnung: Hausruine, Trümmer, wüstes 
Durcheinander, Schutthaufen, am besten 
bezeichnet ist, unterstrichen mit den Worten „kurz und 
klein“. Schon 2 Stunden später hieß es weiter nach
	        
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