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seren gut erkennbares Ziel und nutzten die Gelegenheit
durch lebhaftes Feuer mit sichtlichem Erfolg aus. Die
zweite russische Schützenlinie hatte inzwischen auch das
Feuer gegen die Unseren aufgenommen und diese mit einem
Geschoßhagel halblinks aus der Flanke überschüttet. Die
Wirkung des feindlichen Feuers war eine durchschlagende,
denn auf unserer Seite gab es 4 Tote, denen sofort die
Patronen abgenommen wurden, und einen Schwerverletzten,
den Unteroffizier. Langsam hatten sie sich bis auf 20 Meter
bereits nach dem Straßendamm kriechend rückwärto ge-
arbeitet, als Tannenberg, nun, von 2 Mann aufgenommen,
befahl: Stellung hinter der Kownoer Straße. Diesmal
gelang es ihnen ohne Verluste auf die gegenüberliegende
Seite in Stellung zu gehen. Tannenberg wurde mit Hilfe
von fünf Streifen Patronen verbunden, ein Querschläger
hatte ihm an der Ausschußseite der Wade die Kniescheibe
zertrümmert, so daß der Unteroffizier bat, ihn liegen zu
lassen und Meldung zu machen. .
Die sechs Un- ,
verletzten schli-
chen sich darauf-
hin allmählich in
westlicher Rich-
tung an der
Straße unter
dem Schutze des
Straßendammes
hin, wobei sie
jedoch eifrigst
darauf spannten,
daß keiner der
Russen über die
Straße hinweg
und ihnen in die
rechte Flanke ge-
langen konnte.
Jeder, der es ver-
suchte, sich vorsich-
tig über die Bö-
schung hinaufzu-
schieben, wurde
in handgreiflich-
ster Weise durch
das lebhafteste
Karabinerfeuer
zur schleunigsten Umkehr veranlaßt. Die Gewehrläufe wur-
den dabei verdammt heiß, und vorsichtigeres Hantieren war
am Platze. Der Erfolg unserer Sechse machte sie tollkühn,
die Beherrschung der Straße ließ sie zu dem Entschluß
kommen, nachdem sie sich ihre Munitionsbestände noch mittelst
der des Unteroffiziers Tannenberg ergänzt hatten, einen
Flankenangriff auf die rechte Kompagnie zu machen, die in
einer schätzungsweisen Breite von 150 Meter vor ihnen lag.
Drei wurden hierzu ausersehen, darunter auch Bassenge. Sie
zogen sich eine weitere Strecke von 2—300 Meter nach links
unter dem Schutze der Straßenböschung hin. Dort ange-
kommen, erhalten die drei, kaum im Begriff, sich vorsichtig
über die Straße hinwegzuschieben, lebhaftes Feuer aus der
linken Flanke; die sibirischen Schützen der rechten Kompag-
nie hatten dort eine Gruppe vorgeschoben, um die Unseren zu
umgehen. Bereits in etwa 150 Meter Abstand hatten sich
die feindlichen Schütgen auf dem Straßendamm gebaut.
Eine mißliche Lage. Der gefaßte Plan mußte aufgegeben
werden. Einer der drei nahm das Feuer gegen diese Gruppe
auf, während die zwei anderen sich gegen die zweite rus-
sische Kompagnie wandten.
Doch die Ubermacht war zu groß. Keine Viertelstunde
war vergangen, als zwei von ihnen durch Kopfschüsse
erledigt waren, so daß der letzte, Bassenge, sich von der
worden.
Oieses Kunstwerk ist mit Taschenmesser und Nadel in dienslreien Stunden auf fränlischem Boden modelliert vom
Gesreilen der Landwehr Frih Bodenschaß der 6. Komvagnie des Reserve-Insanterie-Regiments Nr. 102 und am
1. Juni 1015 vom Verfertiger Sr. Majellät dem König von Sachsen als Jelchen unverbrüchlicher Treue geschenke
Bodenschah ill 1688 in Frankenberg i. Sa. geboren und von Beruf Schuhmacher. Er diente 1900—1908
aktio bei der 5./181 in Chemnitz und befindet sich seit 25. November 1914 im Felde .
Höhe des Straßendammes hinter die Böschung zurückzog
und zu den drei rechts liegenden Kameraden eilte. Doch
hier erstarrte sein Blick, denn auch diese waren schwer
verwundet und nicht mehr fortbewegungsfähig. Nachdem er
einen von ihnen rasch noch verbunden hatte, zog sich Bassenge,
die ersten 20 Meter laufend, dann rückwärts kriechend,
zurück, den Karabiner in der Linken immer schußbereit.
Einige bleierne Grüße sandten die Russen noch nach,
aber ohne Erfolg. Bald war Kusy, das abgebrannte Dorf,
erreicht, und nun ging es im Eilmarsch nach der Uber-
fahrtsstelle an der Szeszuppe; hier rief, das verabredete
Zeichen, drei Alarmschüsse, das Patentboot zum Uber-
setzen an das andere Ufer. Bericht über die Unternehmung
beim Leutnant Snay beendete den verlustreichen Tag. Am
andern Morgen konnte dieser Offizier beobachten, wie die
Russen unsere Toten begruben und unsern Schwerver-
wundeten wegschafften.
Zwei Wochen später ging das zweite Schneeschuh=
« bataillon,chne
Brettln, nach
Mariampol, in
Ruhe. Nach acht
Tagen wurde
von hier aus der
Vormarsch nach
Kurland ange-
treten. Die von
unseren 178ern
noch Übrigge-
bliebenen, bis
Clauf Bassenge, ge-
rieten dabei in
russische Gefan-
genschaft, so daß
uns dieser erste
und erfolgreiche
Vorstoß auf rus-
sischen Gefilden
beträchtliche Ver-
luste gebracht hat.
Vizefeldwebel
Giesecke,
Inf.-Reg. 178.
Das Ersatzbataillon
Die Straßen der Stadt sind tagsüber frei von Sol-
daten, denn da ist Dienst in hundert Abarten. Nur Ver-
wundete lassen sich blicken. Abends jedoch wird's voller als
vor dem Kriege. „Und will sich nimmer erschöpfen und
leeren, als wolle das Heer noch drei Heere gebären“ —
so kann man den „Taucher“ variieren. Unsre Heeres-
ergänzungen sind wie dav Danaidenfaß in der Umkehrung:
je mehr wir herauslaufen lassen, um so voller wird es.
Die Kasernen reichen nicht aus, um Unterkunft zu bieten.
Bürgerquartiere werden reichlich in Anspruch genommen.
Alo ich am Tage vor Weihnachten in den einzelnen Kom-
pagnien und Depots meines Bataillons Kriegslieder vor-
las, mußte ich ganze Reisen durch die große Stadt machen,
um von — Ballsaal zu Ballsaal zu kommen. Hier nämlich
lagen einige Formationen in Massenquartieren. Zwischen
den langen Reihen der Schlafstätten stand und saß man,
sang „Stille Nacht, heilige Nacht“ und guckte zu dem
Podium hinauf, wo der Baum brannte. Musikkapellen
verstärkten die Freude. Eine bestand aucs einer Geige, einer
Flöte, einer Querpfeife, einer Zieh= und einer Mund-
harmonika, einem Horn und zwei Trommeln. Und das
klang! Auf die Stadt verteilt leben also Tausende von