Full text: Sachsen in großer Zeit. Band I. (1)

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seren gut erkennbares Ziel und nutzten die Gelegenheit 
durch lebhaftes Feuer mit sichtlichem Erfolg aus. Die 
zweite russische Schützenlinie hatte inzwischen auch das 
Feuer gegen die Unseren aufgenommen und diese mit einem 
Geschoßhagel halblinks aus der Flanke überschüttet. Die 
Wirkung des feindlichen Feuers war eine durchschlagende, 
denn auf unserer Seite gab es 4 Tote, denen sofort die 
Patronen abgenommen wurden, und einen Schwerverletzten, 
den Unteroffizier. Langsam hatten sie sich bis auf 20 Meter 
bereits nach dem Straßendamm kriechend rückwärto ge- 
arbeitet, als Tannenberg, nun, von 2 Mann aufgenommen, 
befahl: Stellung hinter der Kownoer Straße. Diesmal 
gelang es ihnen ohne Verluste auf die gegenüberliegende 
Seite in Stellung zu gehen. Tannenberg wurde mit Hilfe 
von fünf Streifen Patronen verbunden, ein Querschläger 
hatte ihm an der Ausschußseite der Wade die Kniescheibe 
zertrümmert, so daß der Unteroffizier bat, ihn liegen zu 
lassen und Meldung zu machen. . 
Die sechs Un- , 
verletzten schli- 
chen sich darauf- 
hin allmählich in 
westlicher Rich- 
tung an der 
Straße unter 
dem Schutze des 
Straßendammes 
hin, wobei sie 
jedoch eifrigst 
darauf spannten, 
daß keiner der 
Russen über die 
Straße hinweg 
und ihnen in die 
rechte Flanke ge- 
langen konnte. 
Jeder, der es ver- 
suchte, sich vorsich- 
tig über die Bö- 
schung hinaufzu- 
schieben, wurde 
in handgreiflich- 
ster Weise durch 
das lebhafteste 
Karabinerfeuer 
zur schleunigsten Umkehr veranlaßt. Die Gewehrläufe wur- 
den dabei verdammt heiß, und vorsichtigeres Hantieren war 
am Platze. Der Erfolg unserer Sechse machte sie tollkühn, 
die Beherrschung der Straße ließ sie zu dem Entschluß 
kommen, nachdem sie sich ihre Munitionsbestände noch mittelst 
der des Unteroffiziers Tannenberg ergänzt hatten, einen 
Flankenangriff auf die rechte Kompagnie zu machen, die in 
einer schätzungsweisen Breite von 150 Meter vor ihnen lag. 
Drei wurden hierzu ausersehen, darunter auch Bassenge. Sie 
zogen sich eine weitere Strecke von 2—300 Meter nach links 
unter dem Schutze der Straßenböschung hin. Dort ange- 
kommen, erhalten die drei, kaum im Begriff, sich vorsichtig 
über die Straße hinwegzuschieben, lebhaftes Feuer aus der 
linken Flanke; die sibirischen Schützen der rechten Kompag- 
nie hatten dort eine Gruppe vorgeschoben, um die Unseren zu 
umgehen. Bereits in etwa 150 Meter Abstand hatten sich 
die feindlichen Schütgen auf dem Straßendamm gebaut. 
Eine mißliche Lage. Der gefaßte Plan mußte aufgegeben 
werden. Einer der drei nahm das Feuer gegen diese Gruppe 
auf, während die zwei anderen sich gegen die zweite rus- 
sische Kompagnie wandten. 
Doch die Ubermacht war zu groß. Keine Viertelstunde 
war vergangen, als zwei von ihnen durch Kopfschüsse 
erledigt waren, so daß der letzte, Bassenge, sich von der 
worden. 
  
Oieses Kunstwerk ist mit Taschenmesser und Nadel in dienslreien Stunden auf fränlischem Boden modelliert vom 
Gesreilen der Landwehr Frih Bodenschaß der 6. Komvagnie des Reserve-Insanterie-Regiments Nr. 102 und am 
1. Juni 1015 vom Verfertiger Sr. Majellät dem König von Sachsen als Jelchen unverbrüchlicher Treue geschenke 
Bodenschah ill 1688 in Frankenberg i. Sa. geboren und von Beruf Schuhmacher. Er diente 1900—1908 
aktio bei der 5./181 in Chemnitz und befindet sich seit 25. November 1914 im Felde . 
Höhe des Straßendammes hinter die Böschung zurückzog 
und zu den drei rechts liegenden Kameraden eilte. Doch 
hier erstarrte sein Blick, denn auch diese waren schwer 
verwundet und nicht mehr fortbewegungsfähig. Nachdem er 
einen von ihnen rasch noch verbunden hatte, zog sich Bassenge, 
die ersten 20 Meter laufend, dann rückwärts kriechend, 
zurück, den Karabiner in der Linken immer schußbereit. 
Einige bleierne Grüße sandten die Russen noch nach, 
aber ohne Erfolg. Bald war Kusy, das abgebrannte Dorf, 
erreicht, und nun ging es im Eilmarsch nach der Uber- 
fahrtsstelle an der Szeszuppe; hier rief, das verabredete 
Zeichen, drei Alarmschüsse, das Patentboot zum Uber- 
setzen an das andere Ufer. Bericht über die Unternehmung 
beim Leutnant Snay beendete den verlustreichen Tag. Am 
andern Morgen konnte dieser Offizier beobachten, wie die 
Russen unsere Toten begruben und unsern Schwerver- 
wundeten wegschafften. 
Zwei Wochen später ging das zweite Schneeschuh= 
« bataillon,chne 
Brettln, nach 
Mariampol, in 
Ruhe. Nach acht 
Tagen wurde 
von hier aus der 
Vormarsch nach 
Kurland ange- 
treten. Die von 
unseren 178ern 
noch Übrigge- 
bliebenen, bis 
Clauf Bassenge, ge- 
rieten dabei in 
russische Gefan- 
genschaft, so daß 
uns dieser erste 
und erfolgreiche 
Vorstoß auf rus- 
sischen Gefilden 
beträchtliche Ver- 
luste gebracht hat. 
Vizefeldwebel 
Giesecke, 
Inf.-Reg. 178. 
Das Ersatzbataillon 
Die Straßen der Stadt sind tagsüber frei von Sol- 
daten, denn da ist Dienst in hundert Abarten. Nur Ver- 
wundete lassen sich blicken. Abends jedoch wird's voller als 
vor dem Kriege. „Und will sich nimmer erschöpfen und 
leeren, als wolle das Heer noch drei Heere gebären“ — 
so kann man den „Taucher“ variieren. Unsre Heeres- 
ergänzungen sind wie dav Danaidenfaß in der Umkehrung: 
je mehr wir herauslaufen lassen, um so voller wird es. 
Die Kasernen reichen nicht aus, um Unterkunft zu bieten. 
Bürgerquartiere werden reichlich in Anspruch genommen. 
Alo ich am Tage vor Weihnachten in den einzelnen Kom- 
pagnien und Depots meines Bataillons Kriegslieder vor- 
las, mußte ich ganze Reisen durch die große Stadt machen, 
um von — Ballsaal zu Ballsaal zu kommen. Hier nämlich 
lagen einige Formationen in Massenquartieren. Zwischen 
den langen Reihen der Schlafstätten stand und saß man, 
sang „Stille Nacht, heilige Nacht“ und guckte zu dem 
Podium hinauf, wo der Baum brannte. Musikkapellen 
verstärkten die Freude. Eine bestand aucs einer Geige, einer 
Flöte, einer Querpfeife, einer Zieh= und einer Mund- 
harmonika, einem Horn und zwei Trommeln. Und das 
klang! Auf die Stadt verteilt leben also Tausende von
	        
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