Full text: Sachsen in großer Zeit. Band I. (1)

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gräben, in deren Anlegung sie bekanntlich Meister sind. 
Patronen, Gewehre lagen überall umher. Uberall ein Bild 
deo eiligen Rückzuges. Lodz war in deutschen Hän- 
den. Unsere Brigade stand ungefähr zehn Kilometer nörd- 
lich von Lodz, und hatte die Aufgabe, dem Feinde nachzu- 
drängen. 
Die Nacht sank herab. Wir marschierten volle zwei 
Stunden durch sumpfiges Gelände. Oft mußten wir in 
Reihen hintereinander laufen. Mancher sank bis über die 
Knie in den glitschigen Moorboden hinein! Weiter ging's! 
— Endlich gegen 9 Uhr abends langte unser Bataillon 
in Z. an, ein kleines Dorf, ungefähr zwanzig Häuser zäh- 
lend. Und in diesen armseligen Bauernkaten sollte das 
ganze Bataillon Platz finden. Doch es ging! Im Kriege 
muß überhaupt alles gehen, das Unmögliche möglich ge- 
macht werden. Meine Kompagnie mußte wieder die Vor- 
posten stellen, der erste Zug, dem auch ich angehörte, be- 
zog als Feldwache ein Bauerngehöft, zweihundert Meter 
auf unsere Feldwache zu!1 Unser Doppelposten ließ sie 
ruhig heranmarschieren, schoß drei von ihnen hinweg und 
nahm die andern in sichere Obhut. Die armen Kerle, zwei 
davon Juden, waren froh, daß sie gefangen waren. Der 
eine war sogar aus Lodz und freute sich wie ein König, 
daß Lodz wieder in deutschen Händen war. Aber diese kleine 
Schießerei sollte ernstere Folgen haben; denn plötzlich, wie 
auf Kommando, bekamen wir von zwei Seiten Feuer. 
Ein wahrer Geschoßregen prasselte auf die schnell aus- 
geschwärmte Feldwache hernieder. Von den Höhen kam 
der Hagel, aber wir sahen nichts vom Feind. Da kam 
vom Hauptmann der Befehl, daß wir uns einzeln auf die 
Kompagniestellung zurückziehen sollten. Das war eine ge- 
fährliche Sache, doch sie gelang, wir hatten nur einen Ver- 
wundeten dabei. 
In dem Bauerngehöft, vor dem die Kompagnie ausge- 
schwärmt lag, stand noch unsere kleine Bagage. Mitten im 
Hof stand unser Kaffeekessel auf dem Feuer, eben sollte der 
  
  
  
vom Dorfe „Morgen- 
entfernt. Ge- . kaffee“ in al- 
gen 10 Uhr ler Ruhe und 
abends fin- Gemütlich- 
gen wir end- keit einge- 
lich an, un- nommen 
sere Mahl- werden. Aber 
zeit zu berei- jetzt gab es 
ten. Es gab anstatt Kaf- 
Kartoffeln, fee „blaue 
Salz, Kaffee, Bohnen!"“ 
Feldzwieback, Schnell wur- 
was will das den die Wa- 
Herz noch gen bepackt 
mehr!Wegen — unserschö- 
des Sump- ner Kaffee— 
fes mußte ausgeschüttet. 
unsere kleine Die Wagen 
Bagage sausten zu- 
einen Um- rück! Es war 
weg machen auch höchste 
und kam erst Zeit! Denn 
gegen 4 Uhr jetzt kam es 
früh in Z. an. wieder von 
Inzwischen drüben: pssßt 
waren aber — pssßt! — 
unsere schö- Erbeutetes Geschützmaterial in einer Sammelstelle hinter der Front Und wir 
nen Bohnen konnten nicht 
sauer geworden! — Die Posten standen auf der Wacht und 
spähten nach dem Feinde aus, also konnten wir unsere 
müden Knochen endlich auf dem Strohlager ausruhen 
lassen. Das tat wohl! Alle schliefen oder — schnarchten 
bald, nur der Wachhabende, unser Feldwebelleut- 
nant, saß bei des Lichtchens Schein am wackligen Bauern= 
tisch und schrieb an seine Lieben daheim. — Herrgott, 
schnarchten die Kerle! — Trotzdem ich müde war, todmüde, 
konnte ich doch nicht gleich einschlafen. Ich lag in meiner 
Ecke mit offenen Augen und betrachtete unsern Zugführer: 
Ein feingeschnittenes Gesicht, kleiner Mund, schöne blaue, 
treue Augen, ein ruhiger Mensch, und doch tapfer, der keine 
Furcht kannte, sich furchtlos ins tollste Kampfgewühl 
stürzte, wenn es galt. — Ein deutscher Held wie alle, alle! 
Sein Mund lächelte, gewiß schrieb er an seine Braut, von 
der er mir oft erzählte. — Sorglos, die Gefahr miß- 
achtend, lagen wir da, als ob es keinen Feind in der Welt 
gäbe! Krieg stumpft ab! Und das ist auch gut so. Nerven 
gibt's im Krieg nicht, höchstens aus — Bindfaden! 
Aber der Feind war doch so nahe! Gegen Morgen des 
anderen Tags, als langsam die Dämmerung heraufstieg, 
kommt langsam und bedächtig durch das Wäldchen drüben 
eine feindliche Patrouille pon sechs Mann daher, gerade 
schießen, sahen die Bande nicht! Schauderhaftes Gefühl, 
dieses Pfeifen, ohne antworten zu können. Und dann löste 
sich vorn vom Hügel das Ungeheuer, stieg krachend in die 
Luft und heulte auf uns zu: Eine feindliche Granate! 
Mitten im Hofe landete sie, dort, wo noch vor wenigen 
Augenblicken unser schöner Kochkessel gestanden hatte. 
Diese niederträchtigen Russen, nicht einmal den gönnten 
sie und! 
Unterdessen war das ganze Bataillon auf die Beine 
gebracht, rechts und links von uns schwärmten die Kom- 
pagnien aus. Aber gerade auf unsere Kompagnie schien es 
der Feind abgesehen zu haben. Denn vor und hinter unserer 
Kompagnie schlugen mit dumpfem Gebrüll die Granaten 
ein. Jetzt heulte es auch von den Flanken rechts und links: 
Schrappnells platzten in der Luft und streuten ihren Eisen- 
hagel auf unsere Linie. Das feindliche Gewehrfeuer schwieg 
jetzt. Hier schrie einer getroffen auf, dort sank ein Kamerad 
und dort — dort — ach es war gräßlich. Und dabei 
immer ruhig liegen — nicht schießen können! — „Kinder!“ 
schric unser Hauptmann und richtete sich aus der Schützen= 
linie in ganzer Größe auf: „Aushalten, bis Befehl kommt!“ 
Und dann — Herrgott, war es möglich! — sank unser 
Hauptmann, gerade er, den wir alle vergötterten, der wie
	        
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