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Ripont
Am vorletzten Februartage 1915 bezog das zweite Ba-
taillor des sächsischen Reserveregiments 104 Stellung süd-
lich Ripont. Früh am Tage. Der Feind bereitete ihm
einen warmen Empfang, ver-
schwendeie Artilleriemunition
und stürmte schon am Nach-
mittage. Die 10Jer hatten
sich wohl noch nicht so recht
eingerichtet, denn der Feind
vermochte in die Gräben ein-
zudringen. Im Gegenangriff
warf ihn aber das Bataillon
wieder heraus. Das war
ein heißer Nachmittag, den
manche, manche nicht mehr
im Leben vergessen werden.
Dem Leutnant Berger riß
eine Granate den Arm ab.
Er achtete es gering, stürmte
weiter und verrichtete Wunder von Tapferkeit. Endlich
ließ er sich verbinden.
„Gebt mir eine Zigarette!“ war sein erstes Wort.
„Der Arm ist weg. Na, für mich ist's ja zu ertragen.
Ich bin Bankbeamter. Da brauche ich bloß den rechten
Arm und den Kopf. Die
Feldpost!
Jeden Tag fährt der Lebensmittelwagen der Kom-
pagnie je nach der Gefechtslage 5—20 Kilometer zurück,
um Lebenemittel bei den Fuhrparkkolonnen zu fassen. Bei
diesen befindet sich auch die Kaiserliche Feldpost. Wenn
der Wagen wegfährt nimmt er auch unsere Post mit, und
wehe dem armen Fahrer, wenn irgend einer zufällig nichts
von der Abfahrt erfahren hat und doch etwas mitzugeben
hätte. Eine große Schimpferei ist das mindeste, was dabei
herauskommt. Setzt sich der Wagen nun in Bewegung,
um wegzufahren, so schallen alle möglichen Ermahnungen
hinter ihm her.
„Bringt nur recht viel Post mit!“ — „Mir mein Zi-
garrenpaket, von dem meine Frau gestern geschrieben hat,
du bekommst auch eine davon ab.“ — „Daß du mir heute
wag mitbringst !“ — „Wo bleiben denn die großen Pakete
— — (besonders die, von denen die Zeitungen schrieben,
die wir aber noch nicht bekommen haben)7“
Mit allen diesen frommen Wünschen geht der Lebens-
mittelwagen nun auf die Fahrt. Was er zu essen mit-
bringt, ist vollkommen Nebensache. Abends gegen s Uhr
kommt er wieder. Kaum läßt sich der Kutscher sehen, so
hört er mindestens zweihundertmal die Frage: „Hast du
Post mit? Ist es viel?“ — Er moöchte sich zerreißen, allen
antworten zu können. Er hat auch selbstverständlich noch
keine Zeit und Gele-
sind noch da“, scherzte
er und rüttelie damit
manchen Verwundeten
aus seiner trüben Stim-
mung auf.
Dasdritte Bataillon
half die Stellung hal-
ten. Nachts kam auch
das erste noch hinzu, nur
am Morgen unternahm
104 einen Angriff, denn
die Franzosen hattensich
ihm ein bißchen sehr nabe
auf die Nase gesetzt.
Leutnant der Reserode
Rost hatte eine leichte
Kopfwunde, blutete aber
ganz ungewöhnlich und
verlor viele Kräfte.
Dennochhieltersich auf-
recht, solange er sich nur
zu schleppen vermochte.
Erst als Wundfieber ihn
niederwarf, ließ er sich
verbinden. Leutnant
Biehle, der immeor
ganz vorn war, wenn
es Stürmen! hieß, war
bereits verwundet, auch
Leutnant Pornitz-
Rampff. Sie bielten
weiler mit. Leutnant
Jope lief — alle Lei-
tungen waren zerschos-
ssen — mit Befehlen
her und hin. Auf dem
rechten Abschnitt fiel
Hauptmann Richter, nachdem er drei Franzosenangriffe
abgeschlagen hatte. Und all die vielen, vielen, die da tapfer
kämpften, vier Tage lang! Eine lange, lange Reihe Ehren-
namen wird einst die Geschichte des sächsischen Reserve-
regiments 104 aus den Tagen von Nipont verzeichnen.
Maschinengewehrstellung sächsischer Infanterie
genheit gehabt, in den
(oder was selten vor-
kommt, aber mit gré-
ßerer Freude begrüßt
wird) in die Posisäcke
zu schauen, aber trotz-
dem muß er oft genug
die Frage hören: „Ist
was für mich dabei?“
So ist der Lebens-
mittelfahrer froh, wenn
er mal ungesehen weg-
fahren und wieder-
kommen kann.
Wenn nun einmal
bekannt ist: Die Post
ist dal so kann noch so
Wichtiges zu tun sein,
alles drängt, bis die
Post verteilt wird, und
wenngleich die Fran-
zosen oder Engländer
einen Sturmangriff
machen würden. Die
Post von den Eltern,
der Frau oder — wer
es schon so weit ge-
bracht — von den Klei-
nen, geht jetzt über
alles. Nicht eher wird
Ruhe gelassen, bis der
Feldwebel mit dem
Posisack heraustritt und
alle mit dem Kom-
mando „Postausgabe!“
zum Empfangeder Posi-
sachen zusammenruft.
So sschnell wie hierbei kriegt der Feldwebel seine Leute nie
zusammen, weder zum Essenverteilen noch zum Dienst. Aus
allen Ecken kommen die Leute gestürmt, einen immer
engeren Ring um den Feldwebel bildend, daß er sich
manchmal kaum rühren kann.