Full text: Sachsen in großer Zeit. Band I. (1)

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mitten in der vordersten Front, 30 Meter vom Feinde, 
deutsches Gemütsleben, wie sich's im Gesang, in der Freude 
an der Natur so einzig kundgibt, mit meinen prächtigen 
Feldgrauen zu erleben. 
Wie lernt man da sein Volk lieben! Wie dankbar muß 
ich dem allgütigen Gott sein, der mich hierhergeführt hat! 
Ich habe vor den braven Landsturmleuten die höchste Ach- 
tung, aber am schönsten entfaltet sich das Deutschtum vor 
dem Feinde alo deutsches Heldentum. Diese frohen, 
zufriedenen, bei aller Jugend, ja Kindlichkeit kraftvollen, 
von dem gemeinsamen Gefühl der Pflicht gegen das Vater- 
land erfüllten und durch Gemeinschaftsgefühl verbundenen 
Menschen verdienen Ehrfurcht, wie Hart sagt. So ist es. 
Das muß man sich vor Augen halten, wenn man denkt, 
daß man hier vielleicht wird verbluten müssen. Für wen? 
Eben für dieses herrliche Volk, das sich im Heere als ein 
Volk der namenlosen Helden offenbart. Nie habe 
ich so tiefe Liebe zu unserm Volk empfunden als hier, wie- 
wohl ich schon durch meine Volkskunde seinem Innenleben 
näber gekommen war. Und so wird dies öde, öde Moorslede 
eine Quelle reichsten Erlebens.“ 
So zog Oskar Dähnhardt in den letzten Kampf. Sonntag 
Jubilate 1915 schrieb er noch einen langen Brief der Liebe 
an die Seinen. Eine Stunde später ist er im Sturmangriff 
an der Spitze seiner Kompagnie gefallen. 
„Wenn ich Sie alle doch wiedersehen dürfte! Sollte 
dies aber nicht sein, so bitte ich, es allen auszusprechen, 
daß ich ihnen von ganzem Herzen für alle ihre treue Arbeit 
danke und mit diesem Danke dahingegangen bin!“ So 
lautete sein Abschiedsgruß an Lehrer und Schüler von 
St. Nikolai in Leipzig. „Was mir auch widerfahre, ich 
bin in jedem Falle 5nesdenswert3. Hoffentlich ist mir 
die Heimkehr beschieden, daß ich das Gelernte meiner 
Schüler-Kompagnie zugute kommen lassen kann. 
Meine guten Jungenol“ 
Eines herrlichen deutschen Schulmanns Abschiedsgruß. — 
Noch ein Wort des RNektors Dähnhardt aus einem 
Briefe an seinen kleinen Sohn Wolfgang: „Da die Land- 
sturmleute hier nichts weiter zu tun haben, als die Eisen- 
bahnen zu bewachen, so halte ich die lange, lange Untätig- 
keit nicht mehr aus. Deine Kompagnie, sage ich mir, 
könnte jeder andere ebenso gut führen wie du, du hast sie 
gut erzogen, alles ist in Ordnung. Jetzt kannst du sie ge- 
trost einem, der dich ablöst, übergeben. Du selbst fühlst 
dich jung und kräftig genug, um an die Front zu gehen. 
Vorn fehlt es an Offizieren, und die Feldgrauen, die in den 
Schützengräben tapfer aushalten müssen, brauchen Führer, 
deren Beispiel sie anspornt. Darum muß auch ich dahin. 
Und wenn ich meine Gedichtsammlung aufschlage, lese ich: 
„Was die Kinder Höchstes erben, 
Ist der Väter Heldensinn."“ 
Du und lieb Haroldlein sollen einmal sagen dürfen: „Vater 
hat seine Pflicht getan!“ Solcher deutschen Männer Bei- 
spiel wirkt Nachahmung für alle Zeiten. Sie leben fort 
in aller Herzen. Dähnhardts Bursche, eines biederen Schuh= 
machers Sohn aus Dittersbach, von seinem Hauptmann 
unzertrennlich, hatte immer wieder an seinen Vater in der 
Heimat voll schwärmerischer Verehrung von seinem lieben, 
von allen geliebten Hauptmann geschrieben, zuletzt im tief- 
sten Herzeleid dessen Tod gemeldet. „Und nun — so be- 
richtete die Dittersbacher Pfarrersfrau der Witwe des Ge- 
fallenen — sitzt unser Nachbar weinend auf seinem Schuster- 
schemel und — hält Andacht, indem er Ihres Mannes 
Tiermärchen liest. 
Wir aber bitten Gott, daß er die Kompagnie ihres herr- 
lichen Führers würdig werden läßt, damit sie noch in 
späteren Jahren ihren Kindern von ihrem unvergeßlichen 
Hauptmann erzählen.“ 
Sachsentreue. — 
Die Helden der Lorettohöhe 
Feldyosibrief eines tapferen Krankenträgers eines Leipziger Regiments 
.. Jetzt komme ich endlich dazu, Euch bei klarem 
Kopfe die letzten Tage in kurzen Zügen zu schildern. Bis 
jetzt war es mir nicht möglich, richtig usammenfassend zu 
schreiben, denn die drei Tage vom 11. #ucb bis zum 14. Mai 
waren die fürchterlichsten Tage meines Lebens und werden 
e höchstwahrscheinlich auch bleiben. 
Wir wurden plötzlich Sonntags alarmiert und verladen. 
Nachdem wir ausgeladen waren, marschierten wir in zwei 
Tagen nach dem Orte Souchez. Die Ortschaft lag schon 
im Feuerbereich der französischen Artillerie. Dort hörten 
wir auch, daß wir in die Stellung der bekannten Loretto- 
höhe kommen sollten. Da wußten wir, was uns bevor- 
stand. Wir befanden uns nur noch etwa 2 ½ Kilometer 
von der Stellung entfernt. Nachts 12 Uhr wurde der 
Vormarsch angetreten, wir Krankenträger am Schlusse einer 
jeden Kompagnie. 
Kaum waren wir aus dem Orte heraus, da bekamen 
wir auch schon auf der freien Landstraße ein furchtbares 
Artilleriefeuer. Nun ging das Bataillon im Sturmschritt 
die Straße entlang bis zum Orte Ablain. Wir Kranken- 
träger brachten aber erst die Verwundeten in Sicherheit. 
Von Ablain aus ging es nun hinauf in die Stellung. 
Punkt 3 Uhr nachts am 12. Mai kamen wir oben an. 
Nun kamen Augenblicke, die ich nie vergessen werde, die 
sich bei mir eingegraben haben für alle Ewigkeit. Kaum 
war das Bataillon in Zugkolonnen angetreten — wir 
unterdessen unser Verbandzeug und die Tragen zurecht- 
gemacht — da hieß es, das Bataillon solle die französischen 
Stellungen stürmen. 
Nun brachen unsere tapferen Kerle aus ihrer Deckung 
hervor. Doch wie sie herauskamen, so brachen sie auch 
unter dem feindlichen Feuer zusammen. Es wurde aber 
doch wenigstens ein Graben genommen. Eine halbe Stunde 
später wurde der zweite im Sturm genommen. Wieder 
dasselbe Bild! Verwundete über Verwundete, Tote über 
Tote. Wir hatten nicht genug Hände, zu verbinden. 
Nun hieß es, die Stellung, die wir genommen hatten, 
zu halten. — Da konntet Ihr die echten deutschen 
Helden sehen. Wie die Mauern standen sie. Sturm- 
angriff auf Sturmangriff wurde von den Franzosen gegen 
ung unternommen, doch alle wurden sie abgeschlagen. Da 
konnte man von einem jeden sagen: Hoch klingt das Lied 
vom braven Mannl 
Wir hatten viele Verluste, doch die Verluste der Fran- 
zosen waren ganz ungezählte. Nun kamen wir aber auch 
in ein Artilleriefeuer, wie wir es noch nie gehabt hatten. 
Eo flogen ungezählte Granaten in unsere Stellung. Doch 
auch unsere Geschütze ließen nicht auf sich warten. Von 
früh bis Abend ein furchtbares Getöse! Die Nacht hindurch. 
Dazu die Schmergensschreie der Verwundeten. Es war 
eine Qual! Wir hatten gearbeitet bis zum Zusammenbrechen, 
Tag und Nacht; in den drei Tagen und drei Nächten kaum 
vier Stunden geruht. Dazu nichts zu essen, denn mein 
Tornister war mitsamt meiner Wäsche, Brot, Fleisch und 
was sonst noch drin war, abhanden gekommen. Jetzt habe 
ich wieder neues. 
In diesem Höllenkessel haben wir nun drei Tage und 
drei Nächte zugebracht. Oft bin ich dem Tode um Haares- 
breite ausgewichen. Aber den Stolz haben wir: Wir haben 
wenigsiens den französischen Durchbruchsversuch auf- 
gehalten! Wir — das erste Bataillon 106, ohne ung 
zu überheben, doch hier in der Umgebung spricht man nicht. 
von den 10 ern, sondern nur von den „Helden der 
Lorettohöhe“. 
(Wie ich nebenbei gehört habe, bin ich zum Eisernen 
Kreuze eingegeben.)
	        
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