Full text: Sachsen in großer Zeit. Band I. (1)

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Füße stampfen, Keuchen, Schreien, Stöhnen. Am Boden 
Liegende fallen sich mit den Zähnen an oder suchen sich 
zu erwürgen. Leuchtkugeln flammen auf und stehen zitternd 
mit ihrem Gespensterschein über dem wüsten Getümmel. 
Die Stunden rinnen, schon ist es Mitternacht. Die Lieben 
in der Heimat mögen wohl jetzt schlafen, hier tobt noch 
wildester Kampf, und ruhig liegen nur die, denen nie 
ein Morgen wieder die Augen öffnen wird. 
Zu den rückwärtigen Stellungen fliegt unaufhörlich 
Meldung auf Meldung. „Die Lage ist günstig, wir haben 
einen englischen Graben“, klingt's am Fernsprecher. Gleich 
darauf blingelt es wieder an. „Was ist?“ „Handgra- 
naten vorschicken, sofort!“ Dann eine erregte Stimme: 
„Gewehrmunition geht aus! Schleunigst Munition vor- 
senden!“ Der Mann am Fernsprecher ruft die Meldung 
weiter. Leute rennen und stoßen sich im Dunkel der 
rückwärtigen Gräben. In Säcken und Kästen tragen 
sie frische Munition nach vorn. Auch die Maschinen- 
gewehre klappern wie toll und fressen soviel Patronen, daß 
man ihnen 
Schlacken von einem sengenden Feuer Auggeschiedenen. 
Teilo schleppen sie sich blutend zu den Verbandplätzen, 
teils sind es nicht die Muskeln des Körpers, sondern der 
Kopf, der zu versagen beginnt. Einige reden irre und 
haben das Gedächtnis verloren, sie tun irgend etwas, 
was in diesem Augenblick ganz sinnlos ist. Andere sehen 
nichts mehr, hören nichts mehr, weil das Getöse, das 
unausgesetzte entsetzliche Krachen und Knattern, das Flam- 
mensprühen der krepierenden Granaten alle Sinne gelähmt 
baben. Der Geruch der Schwefelgranaten betäubt fast 
die Unseren. So geht die Nacht, sie scheint endlos. Major 
Fürstenau schreibt in sein Tagebuch die bezeichnenden Worte: 
„Mich friert, wenn es doch Tag werden wollte. Die 
Finsternis ist entsetzlich.“ 
Und es wurde endlich Tag. Auch auf die Nacht folgte 
ein Morgen, und die Sonne stieg ewig heiter und wärme- 
spendend empor. Jwar flaute die Schlacht immer noch 
nicht ab, doch die Höhe 60, die erstürmten Gräben waren 
gehalten worden. 
Alle Schrek- 
  
unaufbörlich 
neues Futter 
zutragen 
muß. Wieder 
mahnt das 
Telephen: 
„Alle verfüg- 
baren Sani- 
lätsmann- 
schaften nach 
vorn! Man 
kommt sonst 
nicht mehr 
durch: Die 
Laufgräben 
sind vollge- 
siopft mit To- 
ten und Ver- 
wundeten.“ 
Unddie Sani- 
tätsmann- 
schasten eilen 
in die Grä- 
ben, Luft zu 
schaffen. Sie kehren zurück, blutig wie die Schlächter. 
Die Verwundeten, die sie zurücktragen, riechen stark nach 
Salmiak, und die Leute tasten um sich, sie können kaum 
aus den Augen sehen. Denn die Engländer schießen mit 
Stinkgranaten, aus denen betäubende Dämpfe quellen. 
Die Stunden verrinnen. Niemand zählt sie mehr. Der 
Kampf will nicht enden. Diese Nacht ist ja nun einmal 
die Hölle los. Wieder klingelt der Fernsprecher, die 
Kämpfer in den vordersten Gräben bitten dringend um 
mehr, immer noch mehr Handgranaten. Gleich darauf 
heißt es: „Sandsäcke vorschicken! Schutzschilde! Bitte 
Schutzschilde vortragen!“ Und die Pioniere leisten Über- 
menschliches. Während in zähem Ringen, Mann in Mann 
verbissen, die Deutschen und Engländer um den Sieg 
kämpfen, füllen die Meoniere Sandsäcke, bauen sie Wehren, 
richten sie die stählernen Schutzschilde auf. Eine feind- 
liche Granate wirft sich mit eherner Brust gegen das, 
was die Braven eben mühsam aufgebaut haben, Sandsäcke, 
Schutzschilde, alles spritzt in einem Flammenkegel aus- 
einander. Tote werden weggezerrt, und an Stelle des 
Jerstörten bauen andere Helden unverdrossen von neuem 
Sandsäcke auf. 
Aus dem nächtlichen Höllensturm, der um die Gräben 
der Höhe 60 tobt, kommen unauggesetzt Leute nach den 
rückwärtigen Gräben. Es sind die von der Schlacht wie 
  
ken dieses 
Kampfes 
hatten deut- 
schen Opfer- 
mut und 
deutsche 
Tapferkeit 
nicht brechen 
können. Ge- 
fangene 
Engländer 
sagten aus, 
daß das 105. 
Regiment in 
jener Nacht 
mit drei eng- 
lischen Ar- 
meekorps zu 
tun gehabt 
hatte. 
Georg v. d. 
Gabelentz. 
Pionierpark der 23. Infanterie-Division 
Soldatengräber 
Dinge, die wir täglich sehen, in deren Nähe wir lange 
leben, werden uns mit der Zeit vertraut und lieb; sie haben 
uno viel zu sagen, selbst wenn es Gräber sein sollten. Frei- 
lich, wir kannten sie nicht, die vor unserem vorderen Graben 
in einer regellosen Reihe ihre letzte Ruhe gefunden hatten. 
Wie ein vorgeschobener Schützenschleier kamen 
sie mir vor; selbst im Tode noch wollten sie ihre Pflicht 
erfüllen. Sie hatten lange warten müssen, bis wir ihnen 
die letzte Ehre erweisen und sie in ein schlichtes Grab legen 
konnten, an der Stelle, wo sie die feindlichen Kugeln beim 
Sturm getroffen hatten. Unscheinbar war anfangs der 
kleine Hügel, der die Toten bedeckte; doch immer stolzer 
und schöner wurde ihre Ruhestätte. Wir brauchten Erde, 
um unsere Stellung zu befestigen. Zwischen den Gräbern 
mußten wir den Boden losstechen; das Wasser sammelte 
sich nun an den tiefen Stellen, und wie einsame Inseln 
ragten die Totenmale empor, mit grünen Sträuchern und 
Blumen geschmückt, als wollten die darin Nuhenden sagen: 
„Hier liegen eure Kameraden begraben, die Schulter an 
Schulter mit euch fochten und marschierten. Manche frohe 
Stunde habt ihr mit uns verlebt, habt manches heitere
	        
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