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Füße stampfen, Keuchen, Schreien, Stöhnen. Am Boden
Liegende fallen sich mit den Zähnen an oder suchen sich
zu erwürgen. Leuchtkugeln flammen auf und stehen zitternd
mit ihrem Gespensterschein über dem wüsten Getümmel.
Die Stunden rinnen, schon ist es Mitternacht. Die Lieben
in der Heimat mögen wohl jetzt schlafen, hier tobt noch
wildester Kampf, und ruhig liegen nur die, denen nie
ein Morgen wieder die Augen öffnen wird.
Zu den rückwärtigen Stellungen fliegt unaufhörlich
Meldung auf Meldung. „Die Lage ist günstig, wir haben
einen englischen Graben“, klingt's am Fernsprecher. Gleich
darauf blingelt es wieder an. „Was ist?“ „Handgra-
naten vorschicken, sofort!“ Dann eine erregte Stimme:
„Gewehrmunition geht aus! Schleunigst Munition vor-
senden!“ Der Mann am Fernsprecher ruft die Meldung
weiter. Leute rennen und stoßen sich im Dunkel der
rückwärtigen Gräben. In Säcken und Kästen tragen
sie frische Munition nach vorn. Auch die Maschinen-
gewehre klappern wie toll und fressen soviel Patronen, daß
man ihnen
Schlacken von einem sengenden Feuer Auggeschiedenen.
Teilo schleppen sie sich blutend zu den Verbandplätzen,
teils sind es nicht die Muskeln des Körpers, sondern der
Kopf, der zu versagen beginnt. Einige reden irre und
haben das Gedächtnis verloren, sie tun irgend etwas,
was in diesem Augenblick ganz sinnlos ist. Andere sehen
nichts mehr, hören nichts mehr, weil das Getöse, das
unausgesetzte entsetzliche Krachen und Knattern, das Flam-
mensprühen der krepierenden Granaten alle Sinne gelähmt
baben. Der Geruch der Schwefelgranaten betäubt fast
die Unseren. So geht die Nacht, sie scheint endlos. Major
Fürstenau schreibt in sein Tagebuch die bezeichnenden Worte:
„Mich friert, wenn es doch Tag werden wollte. Die
Finsternis ist entsetzlich.“
Und es wurde endlich Tag. Auch auf die Nacht folgte
ein Morgen, und die Sonne stieg ewig heiter und wärme-
spendend empor. Jwar flaute die Schlacht immer noch
nicht ab, doch die Höhe 60, die erstürmten Gräben waren
gehalten worden.
Alle Schrek-
unaufbörlich
neues Futter
zutragen
muß. Wieder
mahnt das
Telephen:
„Alle verfüg-
baren Sani-
lätsmann-
schaften nach
vorn! Man
kommt sonst
nicht mehr
durch: Die
Laufgräben
sind vollge-
siopft mit To-
ten und Ver-
wundeten.“
Unddie Sani-
tätsmann-
schasten eilen
in die Grä-
ben, Luft zu
schaffen. Sie kehren zurück, blutig wie die Schlächter.
Die Verwundeten, die sie zurücktragen, riechen stark nach
Salmiak, und die Leute tasten um sich, sie können kaum
aus den Augen sehen. Denn die Engländer schießen mit
Stinkgranaten, aus denen betäubende Dämpfe quellen.
Die Stunden verrinnen. Niemand zählt sie mehr. Der
Kampf will nicht enden. Diese Nacht ist ja nun einmal
die Hölle los. Wieder klingelt der Fernsprecher, die
Kämpfer in den vordersten Gräben bitten dringend um
mehr, immer noch mehr Handgranaten. Gleich darauf
heißt es: „Sandsäcke vorschicken! Schutzschilde! Bitte
Schutzschilde vortragen!“ Und die Pioniere leisten Über-
menschliches. Während in zähem Ringen, Mann in Mann
verbissen, die Deutschen und Engländer um den Sieg
kämpfen, füllen die Meoniere Sandsäcke, bauen sie Wehren,
richten sie die stählernen Schutzschilde auf. Eine feind-
liche Granate wirft sich mit eherner Brust gegen das,
was die Braven eben mühsam aufgebaut haben, Sandsäcke,
Schutzschilde, alles spritzt in einem Flammenkegel aus-
einander. Tote werden weggezerrt, und an Stelle des
Jerstörten bauen andere Helden unverdrossen von neuem
Sandsäcke auf.
Aus dem nächtlichen Höllensturm, der um die Gräben
der Höhe 60 tobt, kommen unauggesetzt Leute nach den
rückwärtigen Gräben. Es sind die von der Schlacht wie
ken dieses
Kampfes
hatten deut-
schen Opfer-
mut und
deutsche
Tapferkeit
nicht brechen
können. Ge-
fangene
Engländer
sagten aus,
daß das 105.
Regiment in
jener Nacht
mit drei eng-
lischen Ar-
meekorps zu
tun gehabt
hatte.
Georg v. d.
Gabelentz.
Pionierpark der 23. Infanterie-Division
Soldatengräber
Dinge, die wir täglich sehen, in deren Nähe wir lange
leben, werden uns mit der Zeit vertraut und lieb; sie haben
uno viel zu sagen, selbst wenn es Gräber sein sollten. Frei-
lich, wir kannten sie nicht, die vor unserem vorderen Graben
in einer regellosen Reihe ihre letzte Ruhe gefunden hatten.
Wie ein vorgeschobener Schützenschleier kamen
sie mir vor; selbst im Tode noch wollten sie ihre Pflicht
erfüllen. Sie hatten lange warten müssen, bis wir ihnen
die letzte Ehre erweisen und sie in ein schlichtes Grab legen
konnten, an der Stelle, wo sie die feindlichen Kugeln beim
Sturm getroffen hatten. Unscheinbar war anfangs der
kleine Hügel, der die Toten bedeckte; doch immer stolzer
und schöner wurde ihre Ruhestätte. Wir brauchten Erde,
um unsere Stellung zu befestigen. Zwischen den Gräbern
mußten wir den Boden losstechen; das Wasser sammelte
sich nun an den tiefen Stellen, und wie einsame Inseln
ragten die Totenmale empor, mit grünen Sträuchern und
Blumen geschmückt, als wollten die darin Nuhenden sagen:
„Hier liegen eure Kameraden begraben, die Schulter an
Schulter mit euch fochten und marschierten. Manche frohe
Stunde habt ihr mit uns verlebt, habt manches heitere