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noch andere Russen wären, die dieses Fürchterliche
und Aussichtslose satt hätten und sich ergeben möchten.
Und richtig, als ich mit dem Glase die Gegend zwischen
uns und der deutschen Stellung absuche, entdecke ich hinter
Stauden und grünen Wällen drei kleine gemauerte Festungs-
werke, aus deren Deckungen sich immer wieder ein paar
braune Russenmützen vorsichtig herausschieben, um rasch
wieder zu verschwinden.
Die Situation erscheint mir aussichtsvoll, aber erst
muß die Batterie gesichert werden. Zwei von den braven,
handfesten Sachsen marschieren auf die feindlichen Ge-
schütze zu, die beiden anderen bleiben bei und. Nun sind
wir unser Viere mit zwei sächsischen Gewehren und dem
Revolver des Chauffeurs. Während der verrückte ole
immer lacht und mit schriller Stimme zetert, mache ich's
wie König Franz in der berühmten Ballade vom Hand-
schuh: ich winke mit dem Finger. Nichts Wesentliches er-
eignete sich, es vermehren sich nur die russischen Kappen,
die aus den drei -
Unter den achtzig, die wir schon haben, ist ein deutsch-
sprechender Jude aus Moskau. Den schicke ich als Parla-
mentär und lasse die Zögernden zu schleuniger Übergabe
auffordern; er kommt sehr hastig zurück und bringt die
etwas unklare Antwort: sie kämen wohl, aber jetzt noch
nicht. Unsere Achtzig werden unruhig, und der Moskauer
warnt ein dutzendmal: „Glaich wiern se schoißn !“ Ich
bin überzeugt, daß sie eo nicht tun.
Da mun auch der deutsche Schrapnellregen wieder gegen
die Batterien und über die Linien herfällt, sind die 80 Russen,
die ihr Leben schon in Sicherheit gebracht glaubten, nimmer
zu halten. Wir führen sie zu den Sachsen herüber, ich
übergebe sie dem Offizier und bekomme von ihm zehn
Mann, um die andern zu holen. Nun ersparen uns die
noch ungefangenen die Hälfte des Weges, und kommen
uns gewehrlos auf den Wiesen entgegen — 120 Mann.
Jetzt haben wir im ganzen rund Zweihundert. Einhundert-
sechsundneunzig Mann, drei Offiziere und einen Feld-
webel . . . Und
kleinen Festungs-
werken heraus-
gucken. Nun ver-
such' ich's mit
der stärksten mei-
ner Künste: Ich
wehe und winke
mit einem wei-
ßen, noch ziem—
lich reinen Ta-
schentuch . Und
siehe, das hilft!
In aller weißen
Reinheit wohnen
siegende Kräfte.
Aus dem
einen Festungs-
werk kommen
sechse oder sieben
beran, aus dem
zweiten zehne
oder zwölfe, aus
während diese
kleine, stille
Tragikomödie
des Krieges sich
zu Ende spielt,
kommt wieder
um uns herum
die blutige Pracht
des Tages von
Georgiewsk.
Ich wandere
mit meinem Be-
gleiter zu der
russischen Batte-
rie hinüber und
verabschiede mich
von den zwei
prächtigen Sach-
sen, die unter
schwerem Schrap-
nellfeuer unver-
drossen bei den
erbeuteten Ge-
dem dritten fünf- 4 .
zehn oder zwan- )P — —
2# sog le Jwt Russisches Quartier allererster Güte
J -
Schwärmchen hat noch eine zögernde Nachhut. Schließlich
haben wir ungefähr 80 beisammen. In allen Augen, die mich
da ansehen, gewahre ich die gleiche verstörte Scheu und eine
müde stumpfe Gedankenlosigkeit. Einer, den wir noch aus
den Stauden des Obstwäldchens herausholten, fällt vor
und auf die Knie, mit Tränen in den Augen, bittet wie ein
erschrockenes Kind mit aufgehobenen Händen um sein
Leben und beruhigt sich erst beim Anblick meiner zum
Himmel emporgestreckten Schwurfinger. Wie müssen die
Monate des Krieges, die schweren Kämpfe der vergan-
genen Tage, die Nervenzerhämmerung und die deutschen
Keulenhiebe der letzten Stunden diesen Männern zugesetzt
haben, um sich so ergeben zu können vor zwei deutschen
Gewehren und einem Revolver unbekannter Herkunft. Das
erleben und man weiß: Die russische Armee ist mürbe
geworden unter dem deutschen Hammer.
Weil kein „Gefangener“ mehr kommen will, beginne
ich wieder mit dem Glas die Gegend abzusuchen. Auf der
Hügelkante, gegen die deutsche Stellung hin, entdecke ich
eine lange Neihe von Russen. Uber hundert müssen es sein.
Sie scheinen in einem Schützengraben zu siehen und haben
noch die Gewehre — immer wieder hebt einer die Flinte
an die Wange und läßt sie wieder sinken. Ich winke mit
allen Fingern, mit dem bewährten Taschentuch. Umsonst.
schützen aushal-
ten. Dann weiter
6 der feindlichen
Jitadelle entgegen. Während wir am Jaume eines Friedhofes
entlang schreiten, hören wir fern hinter uns von Fort II
herüber das tausendstimmige Hurra eines deutschen Sieges.
Wer diesen Ton beschreiben könnte! Es zittert durch Mark
und Bein, macht das Herz stocken und ist das Schönste
und Herrlichste, was deutsche Ohren zu hören vermögen.
r* *
*
Die Beute von Nowo-Georgiewsk betrug 6 Generale,
über 85 Ooo Mann Gefangene, 1640 Geschütze, 23219 Ge-
wehre, 103 Maschinengewehre, 160 doo Schuß Artillerie=
munition, 7098 000 Gewehrpatronen.
Ferner wurden in der Festung so ungeheure Massen
von Lebensmitteln aufgespeichert, daß eine 100 Ooo Mann
umfassende Garnison 1 ½ Jahr verpflegt werden konnte.
Unmittelbar vor der Einschließung der Festung wurden
12 000 Ochsen und mehr als 1000 Kühe nach Nowo-Geor-
giewsk getrieben.
Die „Gespenster“ in Wilna
Der zumeist aus sächsischen Landwehrbataillonen be-
stehenden Brigade des Obersten Grafen Pfeil hatten, wie
erinnerlich, die Feinde den ehrenvollen Namen „Die Ge-
spensterbrigade“ gegeben. Die wackeren Gesellen tauchten