Full text: Sachsen in großer Zeit. Band I. (1)

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forderte unerbittlich den Vormarsch, die Pflicht 
rief, und die Braven bissen die Zähne zusammen, 
rappelten sich auf, nahmen Gewehr und Tor- 
nister auf und schleppten sich wieder vorwärts. 
Kein Wölbkchen zog über den blanglühenden Him- 
mel, kein Lüftchen brachte Kühlung, kein Wald 
gab dauernden Schatten. Die Metallteile der 
Gewehre erhitzten sich. Selbst das Wasser der 
Bäche schien zu kochen. Und doch ging es vor- 
wärts. Gegen Mittag wurde Wittelsheim er- 
reicht. Wie eine Erlösung kam der Befehl an- 
die Hundertfünfer, hier zu halten, zu rasten 
und alleo Notwendige zu requirleren. Die Leute 
schleppten sich in die nächsten Häuser, in denen 
gutmütige Einwohner sie mit Essen und Trinken 
versorgten. Kaum konnten die Erschöpften für 
alles danken. In Unruhe und Erwartung ver- 
gingen die Stunden. Nachricht kam, daß der 
Wald vor ihnen im Süden stark von Fran- 
zosen besetzt sei. Eine Reiterpatrouille preschte 
mit einem angeschossenen Pferde zurück und 
warnte die Truppe. Hauptmann Stecher bekam 
vom Major Fürstenau den Auftrag, mit fünfzig 
Mann den Wald zu erkunden. Er fand den Rand selbst 
unbesetzt, doch fielen aus dem Dickicht bald hier, bald da 
einzelne Schüsse. Die Geschichte war nicht geheuer. 
Unterdessen wurde es sieben Uhr des Abends. Die Ma- 
roden des Bataillons hatten sich allmählich wieder heran- 
gefunden. Da erhielt Major Fürstenau einen Befehl des 
Generals von Altrock, gegen Sennheim vorzugehen, auf 
das eine stärkere feindliche Kolonne im Anmarsch sei. Also 
an die Gewehre! Zu beiden Seiten der Sennheimer Straße 
schwärmten die braven Hundertfünfer aus, Artillerie fuhr 
auf, und der Tanz ging los, die Feuertaufe des Ba- 
taillons. 
Ein Graben im Feld, ein Nand der Straße boten den 
Vorgehenden spärliche Deckung. Die Geschosse der Franzosen 
heulten und krachten, mit dumpfem Donner warf sich die 
von Granaten getroffene Erde in Wolken empor. Kame- 
raden fallen und erheben sich nicht wieder vom Boden, 
der sich von Blut rötet. Die Erregung des ersten Kampfes 
durchzittert die Leute, das Ungewohnte, das Furchtbare 
wirft sie wie in einen Rausch, sie finden sich in dem leben- 
vernichtenden Getöse nicht zurecht, ihre Sinne fangen an 
zu versagen. Aber Major Fürstenaus eiserner Wille und 
seine Offiziere halten die Leute fest in der Hand, auch in 
Augenblicken, wo in einer kampfungewohnten Truppe der 
Mutigste die Nerven verlieren kann. Und in furchtbarer 
Unermüdlichkeit heulen die Granaten herüber, zischen und 
  
Biwak sächsischer Truppen 
sirren die Geschosse der Infanterie, klappern die Maschinen-= 
gewehre dazwischen und stöhnen die Klagen Verwundeter 
über das Feld. « 
Doch allmählich wurde das Feuer des Gegners müder 
und schwächer, der Sturmregen der aufblitzenden Schüsse 
drüben am Walde wurde zu einem Tröpfeln, die Franzosen 
bekannten sich geschlagen und verschwanden im Dunkel, 
und elf Uhr abends konnte das Bataillon Fürstenau endlich 
nach vierstündigem Gefecht, östlich Wittelsheim die Ge- 
wehre zusammensetzen. Die Leute fielen vor Müdigkeit um, 
waren sie doch seit vier Uhr am Morgen, seit neunzehn 
Stunden unterwegs. Alle hatten nur den einen Wunsch, 
jetzt nur liegen bleiben und schlafen. Das Bataillon ver- 
brachte die Nacht Gewehr im Arm, davor starrten die Posten 
ins Dunkel, durch das in der Ferne von Mülhausen her 
der gelbe Schein brennender Häuser flammte. Manch 
einem zuckte er durch die geschlossenen Augenlider. Wie 
war man doch mit einmal aus dem arglosen Leben des 
Friedeno in das blutige Toben des Krieges geworfen wor- 
den. Doch wer wollte sich jetzt darüber Gedanken machen, 
nur schlafen, schlafen! 
Da prasselte plötzlich, ungeahnt, unerwartet in die 
Träume der Todmüden von neuem ein Höllenlärm aus 
Geschützen und Gewehren. Alarm! Haben die Franzosen 
einen Uberfall gemacht? Rings ein Blitzen und Flammen-= 
speien, ein Rennen, Brüllen und Befehlen, ein Fragen. 
Fenster klirren, Verwundete wälzen sich am Boden, ein 
  
  
Viwak sächsischer Truppen beim Vormarsch in Belgien 
tolles Durcheinander. Woher die Franzosen kamen, wie 
stark sie waren, ob sie überhaupt schon so nah waren, 
wer sollte das in der Nacht sagen, wer konnte das 
wissen? 
Nichts ist schlimmer, unberechenbarer als Gefechte 
in der Nacht, bei denen Freund und Feind nicht zu 
kennensind, bei denen die Meldungensich widersprechen, 
nur halb Geschehenes ins Ungeheuerliche vergrößert 
wird, der Feind, der neben mir steht, der mir im nächsten 
Augenblick das Bajonett in den Leib rennt, verborgen 
bleibt und der beste Freund dagegen als Feind an- 
gesehen werden kann. Glücklicherweise legt sich das 
Getöse fast so rasch, als es entstanden. Dennoch hat 
Kommandeur der Hundertfünfer, Oberst Allmer, 
dies im Dunkel der Nacht, von Dämonen entfesselte 
Gefecht manches Opfer gefordert, darunter der Besten 
einen, von zwei feindlichen Kugeln durchbohrt ist der 
gefallen. Man deckte ihn mit einem Mantel, seine 
Leute beweinten ihn wie einen Vater. Im Straßengraben
	        
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