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Interessant ist, was die Gefangenen aussagten. Man
hat ihnen erzählt, daß Lüttich wieder von den Engländern
erobert sei, deshalb versuchten sie immer, nach Osten durch-
zubrechen. Wenige Kompagnien von uns haben diese An-
griffe immer zurückgewiesen. Sobald die Soldaten das
Seitengewehr aufsetzten und die Maschinengewehre knatter-=
ten, rissen sie sofort aus. Sehr beklagten sie sich über ihre
Offeziere, diese führten die Mannschaften in die Schützen-
gräben und liefen dann weg. In den Forts wurden häufig
die Soldaten ohne ihre Offiziere gefangen genommen.
Beim Sturm hatten sie sich die Tressen abgeschnitten und
waren davongelaufen.
In Manbeuge sind auch 300 Jäger von uns befreit
worden, die von uns abgeschnitten worden waren. Eine
französische Kompagnie wollte sich ergeben; als sie sah,
daß nur ein Gefreiter mit 12 Mann sie gefangen nehmen
wollte, fingen sie wieder an zu feuern. In den ersten
Tagen der Belagerung wurden stets die Batteriestellungen
verraten und auch unsere Kolonnen beim Heranschaffen
von Munition beschossen. Es ist aber ohne jeden Verlust
abgegangen. Eine ganze Anzahl der französischen großen
Geschosse erplodierten
wußte es. Die Spannung eines entscheidenden Tages fie-
berte durch alle Leute. Sie schien sich den Pferden mit-
zuteilen, die aufgeregt schnaubten, als gebräunte Reiter
sie, oft genug zum letzten Nitt, sattelten. Spannung des
Kampfes redete aus den feuerbereiten Geschützen, die da
im Herbstmorgen heranrasselten und schütterten, ja sie
sprach sogar aus der Luft. Noch in tiefer Dunkelheit war
ein Zeppelin über die Linien gegen die französische Grenze
gesegelt, und jetzt eben furrten Flieger von drüben den
Morgenstrahlen entgegen auf unsere Stellungen zu, wäh-
rend Geschosse nach ihnen durch die Luft stießen. Als
folgten Schafe dem Rufe des Hirten, so sprang eine Wolke
nach der andern hinter den dahinhastenden Fliegern drein.
Das Bataillon wartete. Noch war der Befehl zum
Vormarsch nicht da. Man ließ darum die Feldküche in
eine Scheune fahren, damit einstweilen dort abgekocht wer-
den könnte. Sie schien leer. Doch ein Toter lag drin,
gestorben, wer mochte wissen, wann. Er wurde ins Freie
getragen, dann gingen die Köche an ihre friedliche Arbeit.
Andere Teile des Regiments waren vorn schon in wilder
Tätigkeit. An den wartenden Kompagnien wurden aus
der Kampflinie die
wieder nicht.
Unsere schwere Ar-
tillerie, die 42-Zenti-
meter= und 30-Zenti=
meter Geschütze, wie
auch dieösterreichischen
30-Zentimeter-Kano-
nen, ebenso unsere
Mörser, bei denen ich
bin, wirken ganz fürch-
terlich. Maubeuge ist
wohl eine schwächere
Festung als Lüttich
und Namur, aber es
wurdebesser verteidigt.
Das oben erwähnte
Verraten unserer Stel-
lung geschah, nachdem
die Einwohner ver-
trieben waren, durch
eine Telegraphen-Sta-
tion, die die Franzosen
im Keller einer Kirche hinter unseren Batteriestellungen ein-
gerichtet hatten. Sie wurden dann entdeckt und drei franzö-
sische Offiziere herausgeholt. Sie hatten genügend Wein und
dreißig gebratene Hühner bei sich. Die französischen Soldaten
machen einen schwächlichen Eindruck. Sie sind bis über
50 Jahre alt und manche haben Gebrechen. Sie wollen
oft nicht kämpfen und halten dem Seitengewehr kaum
Stand, obwohl die Festung im allgemeinen gut verteidigt
wurde. — — —
Hundertfünf an der Grenze
Noch wob sich die duftigste Morgendämmerung um
die Grenzberge und hüllte Täler, Wälder und Dörfer
in dichte Schleier, doch das Gespenst des Krieges war
schon wieder wach und lärmte von neuem umher. Ge-
wehrgeknatter und das ärgerliche Poltern früh mobil ge-
machter Geschütze weckten die Hundertfünfer nach wenigen
im Kaninchenbau eines Schützengrabens verträumten Ruhe-
siunden. Drüben war nichts vom Feind zu seben, eine
berrliche Berglandschaft, herbstlich vergoldete Bäume gegen
Lunkles Grün, Wiesen, einzelne Häuser, sonst nichts. Und
man erwartete, daß der allgemeine Angriff der Armee
dieses Friedentbild demnächst zertrampeln werde. Man
Sächsische Artillerie auf dem Marsch durch Belgien
ersten Toren und Ver-
wundeten vorüberge-
bracht, und Stabsarzt
Einecker bekam zu tun.
Die Wurzeln eines
Apfelbaums wurden
mit Menschenblut ge-
düngt. Männer und
Frauen trauten sich
zuweilen für Augen-
blicke aus Kellern und
Verstecken hervor,
wenn das Dröhnen
des vorn sich entspin-
nenden Kampfes et-
was nachließ., Sie
huschten planlos um-
her und wagten kaum
ein Wort mit unseren
Feldgrauen zu reden.
Mißtrauen baute eine
Schranke zwischen der
Truppe und ihnen, und Verräterei hatte es entstehen lassen.
Hatte Major Fürstenau doch erst am Tage vorher einen Kerl
erwischt, der den Franzosen Zeichen gab. Die wahren
Verbrecher, die jenen Narren die tückischen Anschläge ein-
gegeben, wurden leider in den seltensten Fällen gefaßt, da
das Gesindel zu entschlüpfen verstand, soweit es nicht nach
Frankreich geflohen war.
Gegen 9 erhielt Major Fürstenau den Befehl zum An-
griff. Er nahm die 2. Kompagnie in die vorderste Linie,
die Schützen schwärmten aus. Sie liefen erst einen Berg
binab, querten eine große Wiese, klommen dann wieder
einen steilen Abhang empor. Niemand empfand Müdig=
keit, man hatte Eile, ins Gefecht zu treten. Die ersten
Geschosse grüßten von drüben, noch taten sie nicht viel
Schaden. Manche Soldaten machten sogar Witze über
sie. Jetzt kamen die Schützen in Wald, sie sprangen von
Baum zu Baum vorwärto und gewannen den oberen Rand
des Berges. Schon knackte und riß und brach es bedenk-
lich in Stämmen und Asten, als trieben unsichtbare Ko-
bolde da oben ein Werk der Zerstörung. Das Feuer des
Feindes wurde wütender. Vor den Hundertfünfern wellte
sich auf einer Blöße ein Nain, er diente als nächstes Ziel
und wurde im Laufschritt erreicht. Nun war man mitten
im Kampf. Feuernde Schützen lagen bereits dort, Ver-
wundete bluteten im Moos und stöhnten rings und baten