Full text: Sachsen in großer Zeit. Band I. (1)

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nichts sehen! Nur mit Revolvern bewaffnet krochen wir — 
Major Graf Lippe, Adjutant Oberleutnant von Abend- 
roth, Leutnant von Gersdorf, Leutnant von Münchhausen 
und ich — im Mondschein längs des Hauses beinahe am 
Boden. Um uns pfiffen die Kugeln und krachten die 
Schüsse. 
Als wir zum Biwak kamen, war dort bewunderungs- 
würdige Ordnung. Sofort gingen unsere Leute zum An- 
griff vor. Als das Feuer erwidert wurde, zogen sich die 
Russen sehr bald zurück, nur einzelne Schüsse fielen noch. 
Nun sollte das Regiment aufsitzen, um in die Stadt zu- 
rückzugehen, doch wir vom Stab hatten alle keine Pferde 
— sie standen noch jenseits der Straße in der Scheune. 
Mit drei Leuten bin ich dann in der Dunkelheit hinüber- 
gegangen und habe die Offizierspferde und meines heraus- 
geholt, während die Kugeln um mich herumpfiffen. Als 
alle glücklich zu Pferde waren und nach der Stadt hinauf- 
ritten, bekamen wir von der Division den Befehl, wieder 
umzukehren und den Nordausgang der Stadt auf jeden 
Fall zu halten, koste es, was es wolle. 
Wir kehrten wie- 
ertönte der erste Kanonenschuß und gleich darauf fingen 
die Maschinengewehre an zu knattern. Das war unsere 
Rettung! Nun fingen die Russen an zurückzulaufen, scharen- 
weise. Einen Kirchhof, den sie noch besetzt hielten, nahmen 
wir im Sturm. Als ich dann zurückkam, erfuhr ich vom 
Tode des Grafen Lippe. Er war ins Knie getroffen worden 
und ist dann verblutet. Ist das nicht schrecklich! Inzwischen 
war das I. Armeekorps herangekommen, nun konnten uns 
die Russen den Buckel hinaufklettern. Das Regiment wurde 
sehr gelobt! Es ist eine Heldentat im Buche der Re- 
gimentegeschichte! Gegen ein ganzes Bataillon haben wir 
allein die ganze Nacht Goldap gehalten, bis das I. Armee- 
korps ankam. Um 12 Uhr mittags wurden die Gefallenen 
begraben. Dann ging es weiter, endlich nach Rußland 
hinein. Von da ab bis zum 15. gab es täglich kleine Ge- 
fechte und Schießereien, Märsche von 40 bis 60 Kilometer. 
Am 15. war wieder ein großes Gefecht. Die Russen ver- 
suchten einen Durchbruch aus der Mausefalle, in die sie 
geraten waren. Von 3 bis s Uhr dauerte der Kampf und 
endete mit einer vollen Niederlage der Russen. Viele Tau- 
  
der zurück und be- 
zogen Biwak. Zu- 
nächst blieb alles 
ruhig, doch kaum 
fing es an, etwas. 
hell zu werden, als 
mit einem Male die 
Knallerei wieder 
losging. Sofort 
schwärmten wir zum 
Gefecht zu Juß aus; 
leider verlor ich sehr 
bald den Komman- 
deur Graf Lippeaus 
den Angen. Da un- 
sere Pferde wieder 
abgezäumt waren, 
lief ich zuerst zu 
ihnen und ließ sie 
fertigmachen. Dann 
hieß es wieder vor 
und den Stab fu- 
chen. Bald traf ich 
Major von Haake, der mir sagte, Graf Lippe müßte ganz 
vorn bei den Schützenlinien sein, ich sollte ihn suchen und 
melden, daß wir unbedingt Verstärkung brauchten. 
Nun kam für mich eine reichlich aufregende Stunde. 
Während die Schützen doch überall in Deckung lagen, 
mußte ich überall aufrecht durchlaufen, um möglichst schnell 
Graf Lippe zu finden. Ich fand ihn aber nicht — niemand 
hatte ihn gesehen! Als ich bei Leutnant von Schlieben vor- 
beikam, rief er mir zu, sie hätten bald keine Patronen 
mehr, ich sollte welche bringen. Nun hieß es, zurück zu 
Haake zu kommen. Glücklich kam ich durch. Haake sagte 
mir, daß Lippe wahrscheinlich schon gefallen wäre, viele 
andere Offiziere auch schon. Nun ließ ich mir zwei Helme 
voll Patronen geben und lief wieder in die Schiitzenlinie 
vor. Um zu der Stelle zu gelangen, wo Leutnant von 
Schlieben mit seinem Stabe lag, mußte ich über eine freie 
Stelle von ungefähr 100 Meter Breite laufen. Die Russen 
waren nur noch etwa S00 Meter entfernt und eröffneten 
auf mich als günstiges Ziel eine Art Schnellfeuer; 
es pfiff reichlich um mich, doch kam ich glücklich durch. 
Jurück konnte ich nicht gleich laufen, so ließ ich mir ein 
Gewehr geben und schoß feste in die Bande; zwei Offi- 
ziere habe ich vom Pferde heruntergeschossen. 
Immer näher kamen die Russen; unsere Lage war 
ziemlich hoffnungslos, wenn keine Hilfe kam. Da endlich 
  
Ein gestürztes Pferd wird auggeschirrt 
sende Gefangene 
sind gemacht wor- 
den. Eine Menge 
machte unser Regi- 
ment und auch ich 
persönlich. 
Bruno Spies, 
Lemutnantim Garde- 
Reiter-Regiment. 
Der Kaiser 
in der 
Feuerstellung 
...,2. Olt. 1914. 
... Jetzt geht die 
Post viel schneller, 
denn die deutsche 
Bahn geht jetzt bis 
hierher, zum großen 
Arger der Franz- 
männer, die aus 
Wut darüber immer Bomben nach der Bahnlinie werfen, 
aber bisher glücklicherweise, ohne diese zu treffen. Lei- 
der haben sie aber dabei Menschen getroffen. Gestern 
kam Dr. H. aus dem Lazarett wieder in unser Regi- 
ment zurück, er brachte ein Brot, Schokolade zum 
Kochen, Rum zum Tee, Keks, Zigarren. Das haben wir 
gleich verbraucht und auch mal gut gelebt. — Nun etwas 
vom Kriegsschauplatze, wo es im allgemeinen nichts zu 
schauen gibt. Da heißt es nur die Nase wegnehmen, sonst 
gibt's blaue Bohnen oder auch größeres Kaliber. Heute 
ist es trübe, nebelig und regnerisch, man sieht nicht weiter 
als zwanzig Schritt, aber gestern war ein herrlicher, warmer, 
sonniger Tag. Das Schöne wurde nur etwas getrübt durch 
die elenden frechen Flieger-Lümmel, — das Einzige, was 
uns stört, denn sie werfen fortgesetzt Bomben. Die meisten 
sind ja unschädlich ob ihrer Ungeschicklichkeit, aber ab und 
zu trifft doch eine; gestern z. B. gleich zwei von sechs, die 
sie abends warfen. Die eine fuhr in die Protzen der 78er 
Artillerie und die zweite in die Freiberger Jäger, tötete 
zwei Mann und verwundete dreizehn schwer. 
Gestern und heute sind der Kaiser und Prinz 
Ernst Heinrich von Sachsen bei uns gewesen, der 
Kaiser war heute früh sogar in der Feuerstellung. Die 
Begeisterung unter den Truppen war unbeschreiblich, 
bie helle Freude leuchtete den Kameraden aus den Augen,
	        
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