Full text: Sachsen in großer Zeit. Band I. (1)

„Vorwärts, immer nur vorwärts!“ spornte er seine 
Kameraden an. 
Sie rieten ihm wiederum, den Verbandplatz aufzusuchen. 
Ein Blick Renitzschke's auf seinen Hauptmann und auf 
seinen blutenden Arm. 
„Wegen so einer Kleinigkeit kann ich meinen Herrn 
nicht verlassen.“ 
Nachher mußte es ihm der Hauptmann geradezu unter 
Strafandrohung befehlen, die Wunde nicht noch länger 
zu vernachlässigen. 
Eine kühne Patrouille 
An einem regnerischen Nachmittage fragte der Zug- 
führer des dritten Zuges 107, 3. Kompagnie, Vizefeld- 
webel Schroth: „Wer 
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gegen 9.30 vormittags feststellen, wo die schwere Motor- 
batterie der Franzosen aufgestellt war. Alle Beobachtungen 
winkte ich zum Unteroffizier Jüngel zurück. 
Um diese Zeit begann die schwere Batterie zu feuern. 
Gefreiter Preß machte eine Skizze, während ich mit dem 
Fernglao beobachtete. So lagen wir etwa bis 2 Ubr nach- 
mittags. Bis jetzt hatte die Motorbatterie genau 500 Schuß 
auf unsere Stellung abgegeben. Schöppe mußte die Schüsse 
zählen. Inzwischen hatte sich die Sonne so gedreht, daß 
wir grell beleuchtet wurden. Jetzt erst entdeckten uns die 
Franzosen. Etwa 150 Meter halbrechts vor uns in einem 
kleinen Wäldchen von etwa 20 Bäumen hatten die Fran- 
zosen einen Beobachtungsposten oben in den Baumkronen 
eingerichtet. Dieser hatte uns gesehen. Er zeigte fortgesetzt 
mit der Hand nach unserer Richtung und kurz darauf 
wurden wir von diesem 
  
will morgen früh eine 
kühne Patrouille gegen 
den Feind machen? Ich 
brauche einen tüchtigen 
Führer und ein paar 
tüchtige Leute. Die 
Patrouille muß von 
morgens bis abends 
draußen liegen blei- 
ben.“ Hierauf meldete 
sich Gefreiter Preß. 
Dann kam er zu uns 
und sagte: „Wer macht 
mit?“ Kunitzsch und 
ich sagten: „Wir sind 
dabei.“ Von der 1. 
Gruppe, die es gehört 
hatte, kam der Soldat 
Schöppe und sagte: 
„Ich mache auch mit!“ 
Vizefeldwebel Schroth 
bestimmte, daß wir in 
der Nacht im Schützen- 
graben schlafen dürf- 
ten. Die anderen muß- 
ten schanzen. 
Gegen 4 Uhr mor- 
gens krochen wir durch 
eine Lücke im Draht- 
verhau und durch ein 
Kleefeld auf eine kleine 
Anhöhe. Diese Anhöhe 
lag 400 Meter vor un- 
serem eigenen Schützen- 
graben. Rechts von uns 
lag der Feind bloß 300 Meter von unserer Linie entfernt, 
so daß wir von dieser Höhe in den feindlichen Graben 
hineinsehen konnten. Noch erschwerte ein feuchter Nebel 
den Ausblick. Wir legten uns so hin, daß jeder für sich 
beobachten konnte. Als Deckung gegen Sicht benutzten wir 
jeder eine Kornpuppe, die so aufgebaut wurde, daß wir 
gerade aus einer Lücke die Gegend übersehen konnten. 
Langsam wurde es Tag. In den feindlichen Schützen- 
gräben herrschte lebhafte Bewegung. Wir sahen die Leute 
Schanzarbeiten ausführen. Dabei tauschten sie gegenseitig 
Zigaretten aus. Die Franzosen hatten sich gruppenweise 
eingegraben und stellten nun die Verbindung zwischen den 
einzelnen Gruppen her. Unten im Tale sahen wir die feind- 
liche Artilleriestellung, die in einem kleinen Waldstück ver- 
borgen lag. Preß sagte zu mir, ich sollte die Verbindung 
mit dem eigenen Schützengraben im Auge behalten. In 
unserem Schützengraben paßte Unteroffizier Jüngel auf 
mich auf. Wir hatten einen weiten Ausblick und konnten 
  
Sammelgrab sächsischer Infonteristen in Frankreich 
Wäldchen aus mit Ma- 
schinengewehrfeuer be- 
feuert. Um uns nichtzu 
verraten, stellten wir 
uns tot und starrten 
nur mit stieren Blicken 
auf den Gegner. Die 
Geschosse des Maschi- 
nengewehrs schlugen 
klatschend neben uns 
ein. 
Kunitzsch sagte: „Na, 
nun ist Schluß! Fetzt 
haben sie uns wegge- 
kriegt!“ Wir blieben 
aber liegen. Das Ma- 
schinengewehr gab im- 
mer 25 Schuß; dann 
entstand eine Minute 
Pause, dann schoß es 
weiter. Wahrscheinlich 
glaubten sie, daß sie 
uns genügend totge- 
schossen hätten. Aber 
wir lebten alle noch, 
obgleich wir uns tot 
stellten. 
Preß sagte: „Wenn 
mir was passiert, dann 
nehmt mir ja die Skizze 
ab, damit sie der Haupt- 
mann kricgt.“ 
Hunger spürten wir 
wenig, dafür um so 
mehr Durst. 
Als die Dämmerung einbrach, wurde der feindliche Schützen- 
graben rechts von uns durch große Massen neuer Truppen 
verstärkt. Hieraus schlossen wir, daß der Feind angreifen 
wollte. Nun gab's kein anderes Mittel: Wir konnten nicht 
mehr durch Winken melden, wir mußten jetzt selbst zurück! 
Gleichzeitig ging eine Schützenlinie gegen unsere Höhe vor. Ich 
machte Preß darauf aufmerksam. Preß sagte: „Nu, warte 
ma mal. Ich will mir die Kerle erst mal richtig ansehen!“ 
Bis auf doo Meter ließen wir die Schützenlinie heran- 
kommen, dann rückten wir ab. Schießen hatte keinen Zweck; 
es waren zu viele. Außerdem mußte die Meldung sicher 
zurück. Kunitzsch kroch voraus. Wir erreichten glücklich 
die Furche im Kleefelde und krochen hintereinander her. 
Da hörten wir aber auch schon hinter uns französische 
Stimmen. Anscheinend hatte sich die Schützenlinie hin- 
gelegt; denn nun begann ein fürchterliches Infanteriefeuer. 
Schöppe sagte: „Nun hat das Kriechen keinen Zweck mehr! 
Jetzt gilt es Leben oder Todl!“
	        
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