Full text: Sachsen in großer Zeit. Band I. (1)

Wieder Stille, und mittlerweile legen sich die Unter- 
beinkleider dichter und dichter an den Körper. Schwer, 
schwer, hier durchzukommen; schmrer als durch Belgien! 
Wie ein überquellendes Springbrunnenbassin meldet sich 
seine Mütze. Er nimmt sie ratlos ab, schüttelt sie, wischt 
sich die Stirn und wischt das Stirnleder und setzt sie von 
neuem ratlos auf. Kein Ausweg! Die Pause dehnt sich. 
Ohr und Haut gewöhnen sich allmählich an die Gleich- 
mäßigkeit des Regenplatterns und des Hagelknallens. In 
den Stiefeln quletscht's und gluckert's. Es ist eben Krieg. — 
„Ich werde Sie öffentlich beloben“ — damit faßt der 
General einen neuen Plan: er hebt die Hand und tut so, 
als wolle er den Roland beiseite schieben. Doch der nimmt 
nur die Anschlagstellung etwas spreiziger und greift die 
Waffe fester an, um den Kolbenhals. vorschriftsmäßig 
der Wasser- 
spiegel steigt. 
Da faltet 
der General 
die Hände und 
schüttelt, als 
ob er vor dem 
unlöslichen 
Rätsel der 
Sphinr stehe, 
furchtbar 
traurig den 
Kopf. Ein un- 
endliches Mit- 
leid geht von 
einem zum 
andern. Den 
Landwehr- 
mann packt 
die Angst, der 
General. kön 
ne vor ihm 
auf die Knie 
sinken, in die 
Pfütze. Das 
wird ihm zu- 
viel: er zieht den Mund schief, legt den Kopf ein wenig 
auf die Seite und bettelt endlich aus Herzensgrund: 
„Duhn Se mir die eenzge Lewe unn sagen Se, Dräsden“; 
dann geht's.“ Oblt. Ferdinand. Gregori. 
Beim Dsingtauer Elektrizitätswerk 
Ein Brief in die Heimat. 
Ende Oktober 1914. 
Nun ist Tsingtau japanisch. Wir alle, die in Tsing= 
tau waren, haben eine schwere Zeit durchgemacht. Tag 
und Nacht das Bombardement von See wie vom Land, 
und sehr oft ist die Stadt planmäßig beschossen worden. 
Dieses Gepfeife und Gekrache war mitunter nicht mehr 
schön, aber bei alldem war ich immer guter Dinge. In 
meiner Wohnung hatte ich keine ganze Scheibe mehr im 
Fenster. Es war nämlich mitten auf der Straße während 
meiner Abwesenheit eine 30,5-em-Granate eingeschlagen. 
Noch in der Nacht schlug ein 15 cm dicht vor den Grund- 
mauern des Hauses in die Erde. Mein Schlafzimmer war 
voll Pulverdampf, da habe ich mich denn in den Keller 
verkrochen. Sicher war man nirgends. Eine Zeit lang 
schlief ich auf dem W. C. in Bauer's Wohnung. Was 
half es? Dann kam eine Schrapnellhülse durchs Dach, und 
kurze Zeit darauf haben die Japaner uns die Bude ganz 
„Lleichsam saugend“ zu umfassen. Die Uhr rückt weiter, 
  
Ein Zwickauer Reserve-Regiment geht an die Front 
70 
zusammengeschossen. Na, alles das ist vorüber — ge- 
wesenl 
Bei der Ubergabe ging es nicht immer sehr nett zu. 
Teilweise haben sich die Japancr sehr gemein benom- 
men, und außerdem waren sie fast alle betrunken, 
denn“ weißt du, Betrunkene sind immer kolossal tapfer! Es 
ist vorgekommen, daß betrunkene Japaner als verwundet 
ino Lazarett eingeliefert wurden, und dann siellte es sich her- 
auo, daß es nur Lake-Leichen waren. Das war am Morgen 
nach der Ubergabe. Und vom Stamme „Nimm“ sind sie alle. 
Gefreut habe ich mich, wie ich die Batterien sah: 
Nach See wie nach Land hin — hier ein halbes Rad, dort 
ein halbes Nohr, die Panzertürme aufgrrissen, keine Ver- 
schlüsse zu sehen, alles das hat mich gefreut! Zwei ganze 
Geschütze haben die Japaner mit übernommen und dann 
noch eine: Menge zerbrochene Gewehre, ganze waren auch 
noch einige 
dabei. Alles 
war vorher 
vernichtet 
worden. Und 
nun frage: 
Warummuß- 
ten wir die 
Flagge strei- 
chen? Es war 
keine Artil- 
lerie-Muniti- 
on mehr vor- 
handen, sonst 
wäre der 
Sturm wohl 
nicht gelun- 
gen. Tsingtau 
hätte früher 
oder später 
doch fallen 
müssen, auf 
die Dauer 
war es nicht 
zu halten. 
Werden sich 
die Japaner also gewundert haben, daß man mit alten 
Taku-Geschützen noch so viel leisten kann und dann eine 
Besatzung von fast 4000 Mann gegen 50—60 000. Und 
wenige Verluste haben wir gehabt, man spricht von 250 Mann 
— und die Japaner 12—15 000 Mann. Tsingtau war 
eben kein Port Artur, wir waren aber auch keine Russen. 
Die japanische Marine, ist das ein Trauerkloß! Ge- 
schossen haben sier unter aller Kanone. Ungefähr 100 ooo ooo 
Den wird den Japanern der Kampf mit dem III. See- 
bataillon in Tsingtau. wohl gekostet haben. Die Eng- 
länder, diese Feiglinge, beim offiziellen Einzug waren 
sie auch dabei, ausgepfiffen haben wir sie, wie sie 
es verdienen. Jetzt geht's im alten Geleise. Wir sind durch 
Armbinden geschützt, und wehe dem Japaner, der sich an 
unsd vergreift. Erstens bekommt er von uns Dresche und 
hinterher auch von seinem besser situierten Kameraden. 
Wundere Dich nicht über die verschicdenen Abgangvorte 
der Briefe. Ich schmuggle hier mal einen durch, dann dort, 
wie es gerade paßt. Alle wirst Du wohl nicht bekommen 
haben. Wenn die Japsen diesen abfangen, dann werden 
sie ihn sicher nicht weitergeben. 
Daß die Japaner keine deutschen Schiffe erobert haben, 
wird wohl in den Zeitungen gestanden haben. Das alte 
Kanonenboot „Komoran“ war abgerüstet, die Geschütze 
bekam der russische Dampfer „Nsäsan“ an Bord und hieß 
von da ab „Komoran 2“. Die Ausrüstung von „Iltis“ 
und „Tiger“ bekam der N. D. L.-Dampfer „Prinz Eitel“
	        
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