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Wenn wir das Besprochene überschauen, so ergibt sich
auch ohne tieferes Eingehen auf die Sache, daß die Ver-
wendungsmöglichkeiten der Kriegsbeschädigten bei weitem
größer sind, als man gewöhnlich annimmt. Gewiß er-
scheinen viele Fälle auf den ersten Blick fast hoffnungslos.
Aber bei ruhiger Uberlegung findet sich wohl überall ein
Anknüpfungopunkt, von dem ausgegangen werden kann.
Freilich, zweierlei ist meistens notwendig: Energie und
Beharrlichkeit von seiten des Kriegsbeschädigten, unver-
zagtes Uben und Weiterarbeiten. Ein Baum fällt nicht
auf den ersten Streich! Der Arbeitgeber aber darf und
soll vor allem nicht glauben, daß er dem Kriegsbeschä-
digten ein Mmmosen reicht, wenn er ihn in seinen Betrieb
einstellt, daß er eben mit „vertan“ werden muß.
Die Frage, ob Zwang oder Freiwilligkeit bei Rückfüh-
rung der Kriegsbeschädigten in das wirtschaftliche. Leben
vorherrschen soll, ist viel erörtert worden und die Be-
sprechung hierüber noch nicht zum Abschluß gelangt. Sicher
hat der Gedanke, der Industrie eine Buße aufzuerlegen,
für die märchenhaften Gewinne, die ihr durch den Krieg
zugeflossen sind, etwas Verlockendes. Und es erscheint auf
den ersten Blick als ganz selbstverständlich, daß die Ent-
schädigungen für die körperlich Geschädigten aus den Taschen
derer genommen werden soll, denen der Krieg wirtschaft-
liche Vorteile brachte. Demgegenüber muß aber immer
wieder betont werden, dasß mit Geld allein die Kriegs-
beschädigtenfürsorge letzten Endes nicht geregelt werden
kann.
Ein gesetzlicher Zwang, Kriegsbeschädigte zu beschäftigen,
ist aber ein zweischneidiges Schwert. Wir wissen nachgerade
zur Genüge, welche Wirkungen derartige gesetzliche Rege-
lungen ausüben. Man denke z. B. an die Festsetzung der
Höchstpreise für Lebensmittel und Sachen des täglichen
Gebrauches. Aber auch wenn sich eine Zwangoregelung
durchführen ließe, fragt es sich, ob man beiden Teilen
dadurch gerecht werden bönnte. Der Kriegöobeschädigte wird
als Arbeitnehmer nicht die völlige Befriedigung finden,
wenn er weiß, daß er an der Arbeitöstätte bloß geduldet
ist oder gar als notwendiges Ubel betrachtet wird. Unter
derartigen Verhältnissen kann von einer Liebe zur Arbeit
nicht die Rede sein, weil der Boden fehlt, auf dem dies
Pflänzlein gedeihen kann. Der Arbeitgeber hingegen kann
und darf sich nicht allein von seinem Gefühl leiten lassen.
Denn ihm muß in erster Linie daran gelegen sein, seinen
Betrieb bezüglich der Güte der hergestellten Waren auf
die höchste Stufe zu führen und dort zu erhalten, wenn
er sich am Wettbewerb auf dem Weltmarkt mit Erfolg
beteiligen will. Damit steht und fällt aber unsere gesamte
Volkswirtschaft!
In den Ruf nach Staatehilfe und Gesetzeszwang ist
also nur mit Vorbehalt und größter Vorsicht einzustim-
men. Die Interessengegensätze zwischen Arbeitgeber und
Arbeitnehmer lassen sich schon in normalen Zeiten in man-
cher Beziehung nur schwer auf dem Wege der Gesetzgebung
regeln. Bei der Kriegsbeschädigtenfürsorge mit ihren zum
Teil noch unklaren und wenig erprobten Verhältnissen er-
geben sich zweifelsohne noch größere Schwierigkeiten. Dar-
um ist zur Vermeidung von einseitiger Stellungnahme Ruhe
und Vorsicht notwendig, sobald es sich um Aufstellung von
Leitsätzen handelt, denen Gesetzeskraft verliehen werden soll.
In Sachsen ist am 11. Juni 1915 die Stiftung
Heimatdank gegründet worden. Unter unmittelbarer
Aufsicht des Ministeriums des Innern bezweckt sie, vor
allem den Kriegobeschädigten wieder zur wirtschaftlichen
Selbständigkeit zu verhelfen.
Außer unmittelbarer Unterstützung in Fällen der Be-
dürftigkeit von Kriegsteilnehmern und ihren Angehörigen
hat der „Heimatdank“ in umfassender Weise die Be-
cufsausbildung der Kriegsbeschädigten plan-
mäßig geordnet. Im Sinne der vorstehenden Ausfüh-
rungen üben die einzelnen Kreisverbände, bzw. Ortsvereine
in Verbindung mit den militärärztlichen Stellen Berufs-
beratung aus, die in den meisten Fällen auf einen Besuch
der verschiedenen Lehrgänge zukommt.
Zur Ergänzung der besprochenen Maßnahmen seien die
hauptsächlichsten Lehrgänge und Ausbildungsgelegenheiten
angeführt.
Kreisverband Heimatdank Bautzen.
Industrie= und Gewerbeschule in Bautzen: Lehr-
gänge für Allgemeinbildung, Bauhandwerker, zur Vor-
ereitung auf Meister= und Gesellenprüfung, für Zeich-
nen, gewerbliche Buchführung, Handwerker verschiede-
ner Berufe.
Landwirtschaftliche Lehranstalt in Bautzen: Lehr-
gänge für Landwirtschaft.
Städt. Handwerkerschule in Zittau: Ausbildung
für Holz= und Metallbearbeitung.
Höhere Webschule in Zittau und Oberlausitzer
Handels= und Gewerbeschule in Großschönau:
Ausbildung in der Weberei, dem Handels= und Ge-
werbefach.
Kreisverband Heimatdank Chemnitz.
Technische Staatslehranstalten in Chemnitz:
Ausbildung von Hilfskräften für Maschinenbau, Elektro-
technik, Bautechnik, sowie Färberei.
Höhere Webschule und höhere Wirkschule in
Chemnitz: Weiterbildung von Terxtilarbeitern, Aus-
bildung von Hilfskräften, Anlernen von Heimarbeitern.
Offentliche Handelslehranstalt in Chemnitz:
Fortbildung von Angehörigen des Kaufmannsstandes,
Heranbildung von Hilfskräften.
Einarmerschule in Chemnitz: Förderung der Be-
wegungsfähigkeit des verletzten Gliedes und Vervoll=
kommnung der Geschicklichkeit der verbliebenen Hand
durch Zeichnen und geeignete Werkarbeiten, Schreiben
usw.
Städtische höhere Unterrichtsanstalten in Chem-
nitz: Lehrgänge zur Förderung der Allgemeinbildung.
Landwirtschaftliche Schule in Chemnitz: Theore-
tische Ausbildung in den Fachwissenschaften unter Berück-
sichtigung der Praxis.
Verein Heimatdank der Stadt Glauchau.
Die König-Friedrich-August-Gewerbeschule bil-
dete theoretisch und praktisch Handwerker, insbesondere
aus dem Baufach und der Textilindustrie, sowie Ange-
hörige des Handelsstandes und entsprechende Hilfsarbeiter
aus. Im Anschluß an das Reservelazarett Glau-
chau: Lehrgänge für Einarmer und die Lehrwerkstätten.
Lehrgang in Flöha.
Im König-Friedrich-August-Stift in Plaue-Berndorf
besteht ein Lehrgang zur Fortbildung von Kriegsbeschä-
digten im Gemeinde= und Sparkassendienste.
Kreisverband Heimatdank Dresden.
Staatl. Bauschule in Dresden: Ausbildung von
Bauhandwerkern.
Offentliche Handelslehranstalt, Rackows Han-
dels= und Sprachschule und Klemichsche Han-
dels= und höhere Fortbildungsschule in Dres-
den: Lehrgänge zur Erweiterung der Kenntnisse kriegs-
verletzter Kaufleute und Vermitriung kaufmännischer
Kenntnisse an Gewerbetreibende; Sprachunterricht.