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gade Mellenthin aber wieder aus dem Orte herausgeworfen.
Da auch gerade jetzt die preußische Division Borstell auf
dem hart umkämpften Flügel eintraf, wurde die Lage ge-
fährlich. Oudinots Erscheinen ermöglichte es den Sachsen
aber, Göhlsdorf zum zweiten Male zu erstürmen. In dieser
Stunde des Siegs berief Ney Oudinot auf den rechten
Flügel; und der durch die Befehlsenthebung tief verletzte
General befolgte grundsäßlich alle Befehle buchstäblich, mar-
schierte hinter den erstaunten und erbitterten Sachsen weg
und ließ sie in dem Augenblicke allein, als Bülow noch
einmal alle Kräfte zusammenraffte und Göhlsdorf wieder
nahm. War eo bei Großbeeren der Regen gewesen, der
UÜbersicht und Befehlogebung erschwerte, so war es hier der
Staub. In toller Verwirrung fluteten die Kampftruppen
zurück, als aus den Staubwolken plötzlich neue Gegner
auftauchten; die Reservedivision wurde mitgerissen. Nur
durch den Entlastungsangriff der Kavalleriedivision De-
france gelang es dem Korps Reynier, einigermaßen geordnet
abzuziehen. Auch der im Marsche befindliche Oudinot wurde
in die allgemeine Rückzugsbewegung nach Oehna mit ver-
wickelt. Fliehende Kavallerie und Fuhrparks rermehrten die
Unordnung; vergeblich suchte Reynier persönlich auf den
Höhen von Oehna seine Truppen zu sammeln. Allein nie-
mand gehorchte mehr, alle Ordnung war gelöst, ein wirrer,
wüster Haufen von Menschen, Pferden und Wagen floh in
einer dichten, fast undurchdringlichen Staubwolke nach Süd-
osten, verfolgt von unermüdlichen preußischen Reitern bis
Welsigkendorf und Kölbitz.
Da am nächsten Morgen auch der von Luckau angelangte
General von Wobeser Dahme stürmte und 3000 Gefangene
machte, war der Sieg der Nordarmee vollständig. Bei einem
eigenen Verluste von 10510 Mann hatte sie die Berliner
Armee Neys um 22000 Mann geschwächt, so daß der
Marschall dem Kaiser melden mußte: „Ich bin gänzlich
geschlagen.“ Natürlich war nicht sein fehlerhafter Befehl
und dessen buchstäbliche Ausführung durch Oudinot daran
schuld, sondern die Haltung der Sachsen, die 28 Offiziere
und 3100 Mann verloren hatten! Vergeblich trat Reynier
mit allem Nachdrucke für seine braven Bataillone ein. Bis
auf den heutigen Tag schiebt die französische Geschichts-
schreibung die Schuld des Mißerfolgs, wie immer, auf die
Bündnistruppen.
Hinter der Elbe, bei Siptitz und Zinna, sammelte am
S§. September Neynier die Trümmer seines Korps. In dieser
Gegend blieb er bis 21. und rückte dann gegen Kemberg
vor. Die beiden sächsischen Dioisionen wurden zusammen-
gelegt, Lecoq verließ das Heer, Generalleutnant von Zeschau
übernahm am 22. die Führung der noch 200 Offiziere,
8000 Mann, 2400 Pferde starken Abteilung.
Die stark franzosenfeindliche, durch die neue Unbill ver-
bitterte Stimmung der Mannschaft zeigte sich darin, daß
bereits in der Nacht zum 23. das Bataillon König unter
Major von Bünau bei Reuden zu den Verbündeten überging.
Der Elbübergang Yorcks bei Wartenburg und die Nieder-
lage des IV. Korps der Armee Neys am 3. Oktober zwang
diesen hinter die Mulde auszuweichen. Die Gesamtlage
wurde dadurch völlig verändert, die Heere zogen sich in die
Gegend von Leipzig. Napoleon verlegte sein Hauptquartier
nach Wurzen.
Als am 9. Blücher bei Düben angegriffen werden sollte,
wurde auch das tags zuvor bei Püchau angelangte Korpo
Neynier über die Mulde gezogen und bei Kültschau östlich
Eilenburg von Napoleon begrüßt. Ohne jedes Zeichen des
Beifalls hörten die Offiziere und Unteroffizlere seine An-
sprache an; als er die Front abritt, stimmten die Sachsen
nicht mit in das gewohnte: „Vive lempereur!“ ein. Das
VII. Korps rückte darauf gegen Düben vor, Blücher entzog
sich aber dem Angriffe und vereinigte sich am 10. mit der
Nordarmee.
Fast schien es, als sollten die Sachsen an dem großen
Entscheidungskampfe, der sich bei Leipzig vorbereitete, nicht
teilnehmen. Denn der Kaiser sandte Ney zu einer Sonder-
unternehmung über Wittenberg gegen Coswig vor. Zurück-
gerufen erreichte jedoch das VII. Korps in Eilmärschen am
16. Oktober abends 8⅛ Uhr Eilenburg. Kaum hatte es da
Biwak bezogen, da mußte es wieder aufbrechen und bis
zum „Heiteren Blick““ nördlich Taucha mit einem an-
strengenden Nachtmarsche weiterziehen. Als es gerade am
Morgen des 17. bier aufmarschiert war, stürzte die bei
Heinrich Wilhelm von Zeschau, geb. 1760, gest. 1832
Schönfeld von Blücher geworfene Reiterei des Kavallerie-
korps Hergog von Padua in wilder Flucht an ihm vorüber.
Zeschau suchte durch eine Ansprache die üble Stimmung
seiner Mannschaft zu heben. An diesem Tage griff Reynier
nicht mehr in die Schlacht ein, er nächtigte bei Paunsdorf. Die
sächsische Infanteriedivision war nur noch 4404 Mann stark.
Napoleon hatte die Absicht, die Sachsen nach Torgau zu
entsenden. Sie marschierten daher am Morgen des 18. von
Paunsdorf nach dem Heiteren Blick zurück, wurden aber,
da ein Abzug nicht mehr möglich war, nach Paunsdorf
wieder zurückgezogen und nahmen quer über die Wurzener
Straße Stellung. Das Bataillon Prinz Friedrich wurde
in Taucha, wo es mit Franzosen zurückgeblieben war, ab-
geschnitten und gefangen.
Die gedrückte Stimmung wurde verzweifelt, als hier das
XI. französische Korps in regelloser Flucht durch die Reihen
brach. Regiment Lecoq besetzte wohl Paunsdorf, an der
Windmühle nördlich davon nahmen auch 2 Batterien den
Kampf aupf, aber schon bröckelten einzelne Truppenteile ab.
Die an der Parthe geworfene Reiterbrigade verließ um
10 Uhr vormittags die Reihen der Franzosen, eine Ulanen-
schwadron unter Leutnant von Seelhorst folgte, Bataillon
von Sahr ging zu den Schweden über. Zeschau sandte
Meldung und Anfrage an den König nach Leipzig, ohne
eine klare Antwort zu bekommen. Als gegen 2 Uhr nach-
mittags die Nordarmee zum Angriff vorging, griff der
Gedanke, die verhaßten Franzosen zu verlassen, allgemein
um sich, um so mehr, als ein Abzug nach Leipzig, „zum
Könige“, nicht mehr möglich war. „Die Offiziere, die der