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dann Notstände von bedenklichster Tragweite Platz greifen
sollen.“
Der Berichterstatter sagt nun weiter, es wüchsen also,
durch den Krieg bedingt, ganz neue Wohnungsverhältnisse
heraus, denen Rechnung getragen werden müsse. Von größter
Bedeutung sei es, unser Volk gesund und kräftig zu ent-
wickeln. Um so notwendiger sei deshalb die Beschaffung
geeigneter Wohnungen, in denen sich unsere Krieger nach
den Anstrengungen des langen Krieges heimisch fühlen
sollen, insbesondere auch in gesundheitlicher Hinsicht. Längst
bekannt seien die vielen ungesunden Wohnungsverhältnisse
der unteren Schichten, und angekämpft würde ja längst
gegen die überfüllten Wohnstätten. Sie seien als eigent-
liche Brutstätten der Tuberkulose anzusehen, und das wich-
tigste Problem der Schwindsuchtsbekämpfung sei der Schutz
vor schweren tuberkulösen Infektionen durch bessere Woh-
nungsfürsorge. Der von der Wohnungsaufsicht im Groß-
herzogtum Hessen aufgestellte Grundsatz dürfe wohl un-
bestritten sein, der Grundsatz nämlich, daß die Tuberkulose
eine Wohnungsbrankheit sei, insofern als das Zusammen-=
leben vieler Menschen im engen Raume, vielfach auch die
gesundbeitlich schlechte Beschaffenheit und Benutzung der
Wohnungen zur Verbreitung der Krankheit am meisten bei-
trage. Schlechte Wohnungsverhältnisse seien auch die Haupt-
quelle, der das große Heer der Prostitution entspringe, und
dasselbe gelte auch für die Verrohung der Jugend und für
die Trunksucht mit ihren schrecklichsten Folgen. Aber all
das Gesagte zeuge nicht nur schlechthin für die Notwendig-
beit desg Kleinwohnungsbaues, sondern vor allem auch für
die Beschaffung von Wohnungen in irgend welcher Form
für unsere heimkehrenden Krieger und deren Familien, um
so mehr, als mancher Sparpfennig, manches mühsam zu-
rückgelegte Geld habe ausgegeben werden müssen, während
der Familienvater im Felde gestanden habe. Manche Rech-
nung würde zu begleichen sein, die während des Krieges
Aufschub gehabt habe. Die Teuerung würde noch lange
anhalten, kurzum die Einnahmen würden nicht im richtigen
Verhältnis stehen zu den Ausgaben, und deshalb würden
billige, gesunde Wohnungen eine große Rolle spielen müssen.
Aus all diesen Gründen heraus sei der Antrag Dr. Seyfert,
Dr. Niethammer und Genossen entstanden, der zum Ziele
habe, in weitestem Maßstabe Wohnungsfürsorge zu fördern,
auch für unsere heimkehrenden Krieger. Der Grundsatz
müsse vollwertig anerkannt bleiben, daß gute Wohnungen
die Gesundheit fördern, daß aber Gesundheit Wehrkraft
bedeutet und Wehrkraft Macht ist.“
Der Berichterstatter führt weiter aus, es fehle an Boden,
der billig sein müsse. Daran scheitere das Wünschen, und
machtlos sei bisher die Arbeiterbewegung gegen Miets-
teuerung und Wohnungsnot, gegen die Preissteigerungen
von Grund und Boden gewesen. Als der Krieg ausbrach,
Fabriken und Arbeitsstätten schlossen, viele Familienväter
dem Rufe des Vaterlandes folgten, da sei in zahlreichen Ar-
beiterfamilien sofort die Not über die Schwelle getreten.
ein kleiner Besitz, eine eigene Siedlung oder Heimstätte —
und das Bild änderte sich sofort. Die verdienstlose Familie
könne sich mit Herauswirtschaftung aus eigenem Garten
und unter Umständen dazu gepachtetem Lande viel eher über
Wasser halten. Die Lebenomittelversorgung habe immer ge-
zeigt, wie nötig Eigenproduktion sei, und der Arbeiter-
kongref in Berlin 1913 habe darauf hingewiesen, daß die
Eigenproduktion für die Arbeiterbevölkerung ihre besondere
Bedeutung habe in Hinsicht auf Kleinsiedlung und Heim-
stättenbewegung . Daga Interesse der Arbeiterbewegung
widerspreche der Gründung der Heimstätten und der Seß-
haftigkeit an sich nicht, und es brauche um deswillen kein
Industriearbeiter seiner Standesbewegung verloren zu
gehen ... Die gemeinnützigen Baugesellschaften würden
in ihren Zielen, zur Hälfte ländliche, zur Hälfte industrielle
Kleinwohnungen zu bauen ... gleichzeitig ein Band schaffen
zwischen Landwirtschaft und Industrie . .Für die Bezirke,
wo größerer Naum zur Verfügung stehe, erscheine die Klein-
siedlung mit Ein-, Z3weifamilien= oder Doppelhaus vorteil-
haft, wobei Rücksicht zu nehmen sei auf gewerblichen Klein-
gartenbau und auf Kleinviehwirtschaft. Die Ansiedlungs-
möglichkeit in Handwerker bzw. Arbeiterstellen sei in Sachsen
besonders günstig. Bei der Dichtigkeit und immerhin glück-
lichen Verteilung unserer Industrien im ganzen Lande fehle
es kaum an auoereichender Beschäftigung, und wohl die
meisten Arbeitsgelegenheiten seien leicht erreichbar, so daß
der außerhalb der Stadt Angesiedelte je nach Neigung oder
je nach Eignung leicht Beschäftigung finden könne als Ar-
beiter in Landwirtschaft oder Industrie, als Dorfhandwerker
oder als Kleinhändler. Bodenständigkeit und Heimatliebe
gehörten zusammen wie Liebe zu Haus und Hof und Eigen-
produktion, deshalb solle zur Eigenproduktion vorbereitet
werden ... Die Schaffung von Wohnheimstätten für mög-
lichst viele Familien sei auch unter städtischen Verhältnissen
erstrebenswert. Aber ebenso wichtig als die bloßen Wohn-
beimstätten seien die Wirtschaftsheimstätten für ländliche
und gärtnerische Zwecke. Gelinge es, möglichst viele dem
ländlichen Leben, der ländlichen Tätigkeit wiederzugewinnen
durch die Beschaffung von Grund und Boden unter ge-
sunden Bedingungen, so sei für Volksgesundheit und Volks-
wirtschaft viel gewonnen. Es lasse sich dabei der Gedanke
glücklicher Arbeitsgemeinschaft der Familie durch den Be-
ruf auf dem Lande intensiv verwirklichen, gerade weil die
aus ihren Berufen herausgedrängten Kriegsverletzten, so-
weit Familienväter in Frage kämen, der Bewirtschaftung
von Grund und Boden zugeführt werden könnten.
Soviel bekannt, befänden sich recht geeignete Ländereien in
Kirchenlehns-, Pfarrlehns= und Kirchschullehnsbesitz und es
möchte auf die oberste Kirchenbehörde gewirkt werden, daß
sie gleichfalls solche zur Verfügung stelle. Von den Herren
Amtshauptleuten sei zu prüfen, ob selbständige Güter oder
Landgemeinden geeignete Areale besäßen, um solche für
Kleinwohnungsbau nutzbar zu machen
3. Aus den Ausführungen des Mitbericht-=
erstatters Abgeordneten Oertel in der Zweiten
Kammer am 6. April in der 48. Sitzung (Ligs.-M. 2. Kam-
mer S. 1480 A):
„Das Gebot der zwingenden Stunde ist: Volksernährung,
Cerealien. Wohl, es regiert zurzeit noch Mars die Stunde,
aber Ceres regiert überhaupt die Stunde der Entwicklung
und des Aufstieges der Menschheit, und ohne Ceres bleibt
auch Mars ein blutarmes und kraftloses Wesen. Darum
müssen wir den Appell der gegenwärtigen Zeit vernehmen:
Schafft Cerealien, zurück zur Natur, zur Urbeschäftigung,
zur Urproduktion der Menschheit im Interesse der Volks-
gesundung, der Volksernährung und der Volksvermehrung!
Dem steht aber die Landflucht entgegen, und diese Land-
Flucht ist tief in der Entwicklung des Volkes und der Zeit
begründet, sie beruht auf der Großstadtsucht, die dem Men-
schen neue Aufstiegsmöglichkeiten in wirtschaftlicher und
beruflicher Weise zeigt, die ihm aber auch oft ein Eldorado
vortäuscht, das sich dann als eine Fata morgana erweist.
Mit Belehrung und Aufklärung ist dagegen nicht anzu-
kämpfen. Sogar die berühmten Meister der Sittenschilderung
und des Landlebens, Sohnrey und Riehl, haben keine be-
sonderen Erfolge gezeigt und gezeitigt.
Aber in unserer Zeit sind Imponderabilien, Gegengewichte
gegen die Landflucht selbst entstanden, einmal schon vor
dem Kriege in der Reaktion gegen die Atomisierung und
Mechanisierung der zerfaserten Teilarbeit ... und nach dem
Kriege wird sich ganz entschieden eine Pflastermüdigkeit der
Kriegsteilnehmer zeigen, die wieder ein lebendiges Sehnen
nach diesem Gesund= und Kraftbrunnen (der Natur) mit
heimbringen. Dem will unser Antrag entgegenkommen,