Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

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haupt für alle bedürftigen Soldaten, die sich ihr Brot nicht 
selbst mehr verdienen können. 
Die Fürsorgemaßnahmen für Invalide in Sachsen waren 
also schon im 17. und 18. Jahrhundert durchaus auf der 
Höhe der Zeit, wenn sie auch bei Weitem nicht hinreichten, 
um das Elend der Invaliden zu bannen, über das uns die 
verschiedensten Quellen jener Zeit eindringliche Schilde- 
rungen bieten. Immer wieder hören wir, daß die Leute 
aufs Betteln gingen, gehen mußten. In den Erlassen 
wenden sich die Fürsten gegen die Bettelei der Invaliden, 
wie in anderen Ländern so auch in Sachsen. Flemming will 
mit seinem Vorschlag über die Verbesserung des Loses der 
Invaliden erreichen, daß „die vielen Hungrigen gespeist und 
getränkt, Nackende bekleidet und die vielen in Bettelei und 
Exzessen Verirrten dem Henker ausweichen und wieder auf 
den rechten Weg gebracht werden sollten“. Und 80 Jahre 
später bezeichnet es Burdach als „eine Barbarei des Zeit- 
alters, die zum Besten der Menschheit so bald als möglich 
abgestellt werden sollte, daß man hilflose Greise und an- 
dere elende, zur Arbeit unfähige Personen — namentlich 
aus dem Soldatenstand — noch in dem so menschenfreund- 
lichen Jahrhundert betteln gehen lasse“. Ganz besonders 
ergreifend aber schildert ein „Aufruf und Entwurf zu einer 
allgemeinen Versorgungsanstalt“ aus dem Jahre 1814 das 
Elend von „der schrecklichen Zeit, die nie wieder- 
kehren möge, wo der tapfere Krieger, von allen 
verlassen, verstümmelt und gebrechlich, sein 
kärgliches Brot vor fremden Türen suchen 
mußte, und wo ihm keine Hoffnung blieb als 
mur auf die Stunde, die allen Jammer endet). 
Wenn auch diesem Aufruf noch kein Erfolg beschieden 
war, so ist er doch ein charakteristisches Beispiel für den 
durchgreifenden Wandel, der sich um diese Zeit in der Stel- 
lungnahme der Offentlichkeit zur Aufgabe der Invaliden= 
fürsorge vollzog. Mit der großen Volkserhebung in den Be- 
freiungskriegen wurde mit einem Male aus dem Söldner- 
und Fürstenheer ein Volksheer. Die Kluft schwand, die 
zwischen Bevölkerung und Soldaten gähnte. Während bis- 
her das Bürgertum dem Heer ablehnend, ja feindlich gegen- 
übergestanden hatte, den Offizieren wegen ihrer Überhebung, 
den Gemeinen, weil sie aus den niedrigsten Ständen, Tu- 
nichtguten und Verkommenen stammten, eilten jetzt die 
Besten aus allen Schichten in die Reihen der Vaterlands- 
verteidiger. Ihnen sehnte Sinn und Herz der Daheim- 
gebliebenen sich nach; in jedem einzelnen erblickte man den 
Kameraden seiner Lieblinge. 
Jetzt handelte es sich eben um einen Volkskrieg, nicht 
mehr um Kabinettskriege, bei denen die Bevölberung nur 
Macht und Ruhmsucht der Fürsten als Beweggründe sah, 
wenn nicht gar Geldhunger, der die Herrscher den Soldaten 
sogar an fremde Mächte um schnöden Mammon wie eine 
  
  
1) Die Ursachen für das Elend waren verschiedene. Viele der 
schönen Verordnungen standen nur auf dem Papier. Die Ermah- 
nungen zur Aufnahme der Invaliden in die Zünfte z. B. fanden 
wenig Befolgung: die Leute eigneten sich auch nach dem Kriegs- 
hanwerk nicht mehr oder infolge ihrer gänzlichen Unbildung überhaupt 
nicht zum bürgerlichen Beruf. Die den Soldaten von der Löhnung 
einbehaltenen Gelder flossen oft ihrem Zweck nicht zu, der eben nur 
als eine Gnadensache und daher von dem guten Willen abhängig 
erachtet wurde. So wurden 1756 bis 1763 der General-Kriegskasse 
überhaupt keine ordentlichen und hinreichenden Fonds für die In- 
validen angewiesen, sondern monatlich nur etwas weniges in Ab- 
schlag bezahlt, sodaß jene unglaublichen Rückstände in der Bezahlung 
der Invalidengelder gegenüber dem Anschlag entstanden. Wenn 
aber selbst die Leute ihren Gnadentaler erhielten, so reichte er 
nicht einmal für die bescheidensten Ansprüche aus. Dazu kam die 
Zerrissenheit im Reich, die eine großzügige soziale Organisation 
unmöglich machte, ferner die geringe Ergiebigkeit des Bodens und 
noch manch anderes, was die ökonomischen Verhältnisse in jenen 
Zeiten erschwerte. 
Ware verkaufen ließ. Damit fiel auch die Auffassung, daß 
die Regelung des Loses der Invaliden ausschließlich eine 
Sache zwischen dem Fürsten und den Soldaten sei, und 
daß der Bürger höchstens insofern ein Interesse daran habe, 
als er gegen die Bettelei der Invaliden geschützt sein wollte. 
In jener Zeit also ruhen die Wurzeln unserer ganzen 
heutigen Invalidenfürsorge, nicht nur der bürgerlichen, 
die da zum ersten Male zu einer herrlichen, wenn auch 
unter den Zeitumständen ziemlich rasch wieder dahinwelken- 
den Blüte sich entfaltete, sondern auch ein großer Teil der 
jetzigen staatlichen Fürsorge. — 
Zum ersten Male erstand damals in Deutschland, aller- 
dings, entsprechend den absolutistischen Verhältnissen, nur auf 
Anregung, mit Genehmigung und unter Aufsicht der Be- 
hörden die Möglichkeit, sich in Vereinen zusammenzu- 
schließen und dadurch jene Kräfte in Bewegung zu setzen, 
die in der Begeisterung zu allem Guten bereit, aber ohne 
solchen JZusammenschluß in der Entfaltung und Erfolgs- 
möglichkeit gehemmt gewesen wären. Diese Vereine haben 
dann fast all das auf sich genommen, was heute so selbst- 
verständlich als eine Pflicht der staatlichen Fürsorge erachtet 
wird, daß die Militärverwaltung schon zu Beginn des Krieges, 
als über die Ansprüche der Heeresangehörigen noch Unklar- 
heiten herrschten, sich entschieden dagegen zur Wehr setzte, 
daß z. B. Sammlungen veranstaltet würden zur Beschaffung 
von Dingen, wie künstlichen Gliedern u. ä., auf deren Ge- 
währung ein gesetzlicher Anspruch besteht! Jene Vereine da- 
gegen versorgten nicht nur die Kranken und Invaliden; die 
in ihnen vereinten Männer und Frauen, Jungfrauen und 
Jünglinge besorgten auch die Ausrüstung der ins Feld 
Ziehenden mit Kleidung und Waffen, Munition und Pro- 
viant, Verbandstoffen und Arzneimitteln. In den Spalten 
der Zeitungen aus jenen Tagen finden sich oft Bitten, in 
denen für einen edlen Jüngling die Mittel gesucht werden, 
um seine noch unvollständige Ausrüstung zu vervollkomm- 
nen, um warme Unterkleidung, Uniform, Helm, Gewehr 
für ihn zu beschaffen. Sogar im Militärwochenblatt kann 
man Bitten und Danksagungen für solche Sammlungen 
lesen. 
Eine wesentliche Erscheinung war es vor allem auch, daß 
die Frauen in das öffentliche Leben eintraten, ihre Per- 
sönlichkeit, Kraft und Gesundheit, ihre Handfertigkeit, ihre 
Kunst, ihre gesellschaftlichen Beziehungen für die Vater- 
landsverteidiger einsetzten, in Aufrufen zur Sammlung von 
Geld und Gegenständen auftraten, die Liebestätigkeit an der 
Front und in den Lazaretten ausübten. So entstanden die 
vaterländischen Frauenvereine, die als Vorläufer 
der Frauenvereine vom Roten Kreuz alle deren heutige 
Pflichten und noch mehr erfüllten. 
Zunächst wandte sich die Unterstützungs= und Hilfstätig- 
keit der Ausrüstung und Versorgung der ins Feld Ziehen- 
den, dann der Sorge für die Verwundeten zu, um schließ- 
lich von selbst den Rest der Mittel und auch eigene Zu- 
wendungen jenen zufließen zu lassen, die als Krüppel aus 
dem großen Kriege zurückkbehrten. 
Das gilt von ganz Deutschland. Sachsen aber, das als 
unmittelbarer Schauplatz der Kämpfe unter der Gewalt des 
Fremdlings am spätesten zu einer Befreiung vom fran- 
zösischen Joch gelangte, hat trotz des drückenden Elendes 
und der verheerenden Wirkungen des Krieges auf Besitz, 
Leben und Gesundbeit der Bevölkerung, geradezu unbegreif- 
lich Großes in nimmermüder Opferwilligkeit geleistet, die 
um so bewundernswerter ist, wenn man bedenkt, daß im 
Land vom 19. Oktober 1813 bis 1. März 1815 „Zur Be- 
streitung der Lazarettkosten, der Requisitionen fremder Trup- 
pen, der Verpflegung des Belagerungskorps von Dreoden, 
Torgau und Wittenberg, der stehenden Garnisonen, der 
durchmarschierenden Heere und der Gefangenen“ 15 75°5 329 
Taler (davon 2 850 318 Taler allein für Lazarette) auf-
	        
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