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verwaltung einmal ein Bekleidungsgeld, sogenanntes An-
schaffungsgeld von 80 Mark, und daneben ein Abnutzungs-
geld in Höhe von 10 Mark monatlich. Auf dieses letzte
hatten diefenigen keinen Anspruch, die für andere als land-
wirtschaftliche Arbeitgeber zum ortsüblichen Lohne tätig
waren. Sofern ein Deutschrusse die Erlaubnis, bürgerliche
Kleidung zu tragen, ausnützte, gewährte ihm das Lager
als ersie Ausrüstung einen Winteranzug, eine Schirmmütze,
einen Mantel, ein Paar Stiefel, zwei Hemden, zwei Paar
Unterhosen und zwei Paar Strümpfe ohne jedes Entgelt.
Die kriegsgefangenen Offiziere sorgten bestimmungs-
gemäß für ihre Kleidung aus den ihnen zustehenden Geld-
gebührnissen selbst. Sie bezogen sie auf Anordnung des
Preußischen Kriegsministeriums aus ihrer Heimat. Nur in
ganz besonderen Ausnahmefällen durften Kleidungsstücke
#im Inlande aus nicht beschlagnahmten Stoffen des freien
Handels angefertigt werden, und zwar auch nur gegen den
vorgeschriebenen Bezugschein. Da aber die Beschaffung aus
den Heimatstaaten der gefangenen Offiziere nicht selten
großen Schwierigkeiten begegnete, und diejenige im freien
Handel des Inlandes infolge der Stoffknappheit zuletzt
unmöglich geworden war, so bestimmte die oberste Be-
hörde, daß auch die Versorgung der kriegsgefangenen Offi-
ziere mit Bekleidung Aufgabe der Heeresverwaltung und
die Abgabe der Stücke nur gegen Bezahlung und nur in
dem unbedingt erforderlichen Umfange zulässig sei.
Die notwendigen Ausbesserungen ließen die Offiziere an-
fangs durch freie Handwerker am Orte ausführen. Als
jedoch Flickstoffe, Leder und Nähfäden kaum noch zu be-
schaffen waren, gingen auch die Offiziersgefangenenlager
dazu über, die Kleidung der Offiziere in den hier ebenfalls
errichteten Ausbesserungswerkstätten gegen Bezahlung in-
standhalten zu lassen.
Gewissenhaft endlich hatte die Heeresberwaltung ein Ver-
zeichnis der Bekleidungsstücke aufgestellt, die den Kriegsge-
fangenen bei ihrer Entlassung in die Heimat mitzugeben waren.
Rückblickend darf man wohl sagen, es ist auch auf dem
Felde der Kleidungssorge für Kriegsgefangene vom deutschen
Volke eine ungeheure Arbeit unter schwierigsten Verhält-
nissen vollbracht worden; sie ist würdig der großen Zeit, die
für Europas Völker angebrochen war und jedem unerhörte
Aufgaben stellte und es zugleich unter schreiende
Entbehrungen zwang.
4. Die Körper= und Seelenpflege
Die Grundbedürfnisse der Gefangenen zu befriedigen,
ihnen nämlich Wohnung, Nahrung und Kleidung zu ge-
währen, das bedeutete nur eine Seite, wenn auch die
wichtigere, so doch die äußere an der Pflicht, die das Ge-
fangenenwesen auch unserm Vaterlande auferlegte. Denn
die Millionen Männer, die uns unser Siegerglück in unsere
Hände gegeben hatte, wären körperlich und seelisch ver-
kümmert, wenn sie in der strengen Abgeschlossenheit von
der Außenwelt — allein auf Unterkunft, Essen und Trinken
sowie Kleidung angewiesen — unserer Fürsorge nicht auch
in anderer Hinsicht hätten teilhaftig werden dürfen. Es
mußte ihnen und uns darauf ankommen, Körper und
Seele trotz aller räumlichen Beschränkung gesund zu er-
halten; ihnen, denn welcher Mensch will sich nicht selbst
und den Seinen wohlbehalten zurückgeben; uns, denn wir
fühlten uns den Heimatländern der Unglücklichen gegenüber
verantwortlich für das Leben jedes unter ihnen gemäß
den zwischenvölkischen Vereinbarungen und dem Begriff
edler Menschlichkeit und lernten die gesunden Arbeitskräfte
schätzen, die solchen Menschenmassen innewohnten, wenn sie
gehegt und gepflegt wurden. Aus dieser Absicht ergab sich
eine ganze Reihe Mittel, die von den Lagern angewendet
wurden, um Körper und Seelen ihrer Pflegebefohlenen zu
behüten und zu stärken.
In vorderster Linie stand die Arbeit, die ja in einem so
großen Gemeinschaftsleben, wie es die Kriegsgefangenen-
lager darstellten, sehr viele Kräfte erfordert und lebendig
erhält. Wir haben die Kriegsgefangenen bei der Arbeit
schon in der Küche, auf den Lagergütern und in den Aus-
besserungsstuben getroffen. Das waren ihrer aber ver-
hältnismäßig wenige. Weit mehr zogen täglich mehrmals
aus, um die alten Lagerstraßen zu reinigen, neue anzulegen,
die dazu nötigen Rohstoffe herbeizuschaffen usw., andere
dienten als Feuerwehrleute, arbeiteten auf den Bebleidungs-
kammern, holten die Post= und Bahnsendungen ab, er-
ledigten allerhand Geschäfte in den Schreibstuben, verrichteten
Laufdienste, sortierten Postsachen und Liebesgaben, führten
die Aufsicht in den Häusern und übersetzten Befehle aus
einer Sprache in die andere, einzelne bemühten sich um die
Kranken, übten die Seelsorge aus oder waren in heraus-
gehobenen Stellungen tätig.
Allein für die so reichgegliederte Arbeit kam nur ein
kleiner Teil der Lagerbewohnerschaft, die nach Tausenden
mitunter zählte, in Frage. Für den größern hatte die Ver-
waltung auf anderem Wege für körperliche Betätigung zu
sorgen. In den ersten Wochen der Gefangenschaft halfen
sich die Leute selbst, soweit sie Franzosen waren. Sie turnten
regelmäßig vor= und nachmittags Freiübungen oder führten
Wehrübungen im Heimatstil unter dem Befehl ihrer
Unteroffiziere vor. Das anzusehen, dünkte mich höchst
fesselnd, denn aus der Art der Bewegungen, die in mancher-
lei Hinsicht von der unsern abwich, sprach der ganze
gallische Geist. Wie gänzlich anders die Russen. Sie hätten
tagelang auf ihren Strohsäcken liegen können, wenn sie
nicht regelmäßig aufgescheucht worden wären!
Später stellte die Lagerverwaltung den Gefangenen Spiel-
und Erholungsplätze zur Verfügung, teilweise sogar außer-
halb der Lagerumzäunung. Hier konnten sie sich tummeln
in mancherlei Spielen, wie sie die von Haus aus gewohnt
waren. Da sah man gewandte Fußballspieler, Boxer und
Strickzieher; die Engländer ergingen sich im Rasenball-
spiel, andere maßen ihre Kraft auf der Kegelbahn und ihre
Gewandtheit an Reck und Barren. Im Winter fuhr man
fleißig Schlittschuh.
Den kriegsgefangenen Offizieren gestatteten die Lager
im Laufe der geit Spaziergänge gegen die ehrenwörtliche
Versicherung, nicht zu fliehen. Der deutsche Begleitoffizier
spielte dabei weniger die Rolle der Bewachung als die der
Führung. Allerdings achtete er darauf, daß die Spazier=
gänger weder Läden und Gastoirtschaften besuchten, noch
mit deutschen Männern, Frauen und Kindern in Berührung
kamen, noch sich von ihrem Trupp trennten. Auch den in
den Geschäftszimmern beschäftigten Mannschaften und
Unteroffizieren gönnte man wöchentlich einen Ausflug von
1—2 Stunden unter Beaufsichtigung.
Für die Franzosen wurden in manchen Lagern Hand-
fertigkeitsräume eingerichtet. Dort stellten sie Nippsachen
aus gebranntem Ton und Lehm, allerhand Schnitzereien
aus Holz und Knochen her, malten und schufen als Bild-
hauer sogar Denkmäler, besonders solche für die auf
den Gefangenenfriedhöfen ruhenden Kameraden. Die Russen,
denen diese Kunststätten auch offen standen, entwickelten
wenig Sinn für solche Unterhaltungsarbeit. Später mußten
die Handfertigkeitsstuben in den Mannschaftslagern auf-
gehoben werden, weil die kriegsgefangenen Künstler und
Kunstgewerbler in den Dienst von freien Arbeitgebern
traten, während sie in den Offizierslagern weiter bestanden.
Deren Insassen vertrieben sich außerdem die Zeit mit
Blumenpflege und Gemüsebau.
Viele der Gebildeten unter den Gefangenen sehnten sich
schon die ersten Wochen nach der Kunst der Sprache und
der Töne. Sie bildeten mit Genehmigung der Lagerver-
waltungen Schauspielergruppen und Musikervereinigungen,