Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

gestanden. Was Wunder, wenn auch sie auf die Arbeits- 
braft der Kriegsgefangenen angewiesen war. Ja, man darf 
sagen, daß gerade hier deren Verwendung in dem Maße 
vielseitig war, wie sich das Gebiet selbst in zahlreiche 
Zweige teilte. Je stärker deren jeder aber schon in Friedens- 
zeiten sich entwickelt hatte, und je mehr er infolgedessen 
Arbeitskräfte beschäftigte, desto mehr litt er unter der Ein- 
ziehung seiner eingerichteten Leute zum Heereödienste, desto 
mehr war er darauf angewiesen, sie durch Kriegsgefangene 
zu ersetzen. 
Ganz besonders galt das von der großen Zahl der Be- 
triebe in der Metall= und Schwerindustrie, an die die 
Heeresverwaltung hohe Anforderungen stellte. Schon von 
Oktober 1915 an war hier das Bedürfnis, Kriegsgefangene 
zu beschäftigen, als allgemein anerkannt und brauchte nicht 
erst durch die Reichsstelle der Arbeitsnachweise bescheinigt 
zu werden. So machte sich namentlich in einem so großen 
Industriemittelpunkte wie Chemnitz bei dem riesigen Um- 
fange, den die mittelbaren und unmittelbaren Heeresliefe- 
rungen annahmen, bereits zu Beginn des zweiten Kriegs- 
jahres ein außerordentlicher Bedarf an Schmieden, Schlossern, 
Drehern, Formern und anderen verwandten Facharbeitern in 
der Eisenindustrie geltend. Um solche fehlende Berufsarbeiter 
aller Arten nach Möglichkeit durch Kriegsgefangene zu er- 
setzen, wurden in den Lagern genaue Berufsfest= und zauf- 
stellungen notwendig. Aber selbst damit war es nicht ge- 
tan. Viele Unternehmer wünschten vielmehr ungelernte 
Arbeiter einzustellen, um sie anlernen zu lassen. Der Ver- 
such hat sich gelohnt. Die ausgewählten Leute haben sich 
bald eingerichtet und bewährt. 
Natürlich kamen grundjätzlich für die Abgabe von Kriegs- 
gefangenen-Arbeitsabteilungen nur kriegswichtige Betriebe 
in Frage, d. h. solche, die sich selbst mit der Herstellung 
von Heeresbedarf befaßten oder die Erzeugnisse dafür lie- 
ferten. Um ihnen immer die der Größe ihres Werbkes ent- 
sprechende Zahl von Gefangenen zu sichern, waren von 1917 
ab vor der Abgabe die Kriegsamtsstellen zu hören, und 
zwar anfänglich nur in Hinsicht auf gelernte, später auch 
auf ungelernte Kräfte. Damit sollte zugleich verbindert 
werden, daß ein Betrieb gleichzeitig an verschiedenen Stellen 
Arbeitskräfte anforderte und erlangte und so eine ver- 
hältnismäßig zu hohe Jahl beschäftigte. Je nach dem, was 
diese Uberwachungsstellen vorschlugen, wurden den Arbeit- 
gebern Gefangenenabteilungen verschiedener Größe über- 
lassen: angefangen bei Abteilungen von einem, zwei und 
mehreren Gefangenen bis zu solchen von Hunderten. 
Was diese da geleistet haben, ist zahlenmäßig schwer aus- 
zudrücken, jedenfalls aber ganz bedeutend zu nennen, denn 
sie gingen meist mit Lust und Liebe an die Arbeit, da ihnen 
die Gelegenheit geboten war, reichlich Geld zu verdienen, 
obwohl sie nur einen Teil dessen bekamen, was die Arbeit- 
geber der Heeresverwaltung zu zahlen hatten. 
Im allgemeinen nämlich war für ihre Arbeit in Betrieben 
jeder Art, übrigens auch in denen des Bergbaues und des 
Hüttenwesens, wie des Gewerbes und des Handwerkes, 
grundsätzlich für den Kopf und Tag eine Vergütung zu 
entrichten, wie sie der Höhe des Tagesverdienstes eines 
freien gleichartigen Arbeiters im gleichen Betriebe und unter 
gleichen Verhältnissen entsprach, überdies hatte der Arbeit- 
geber die den Wachtleuten zustehende tägliche Zulage von 
50 Pfennig zu bestreiten und für die ärztliche Versorgung 
der Gefangenen nur in dem Maße aufzukommen, wie sie 
freien Arbeitern durch die Krankenkasse gewährt wird. 
Für die Unterbringung seiner Arbeitsabteilung erhielt er 
15 Pfennige auf Kopf und Tag, für die Verpflegung aber 
seit Oktober 1915 bei einer Kopfzahl der Arbeitsabteilung 
bis 90 1,30 Mark, bis 200 1,20 Mark und darüber 
binaus 1,10 Mark. Da diese Verpflegungsrückvergütung 
infolge der zunehmenden Teuerung den wirklichen Verhält- 
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nissen nicht mehr gerecht wurde, so zahlte der Arbeitgeber 
zum Auegleiche nicht die steigenden Löhne seines Betriebes, 
sondern immer nur den sogenannten Friedenslohn. Der 
Kriegsgefangene selbst erhielt davon grundsätzlich nur 
27 v. H., das ist also ein Viertel des vereinbarten Lohnes, 
als Abfindung. Allerdings waren Abstufungen zulässig, dem 
Lässigen zahlte die Heeresverwaltung durch den Arbeitgeber 
etwas weniger, etwa 10 v. H., anderen 18 v. H., dritten 
20 v. H., dem Fleißigen aber 25 v. H. und mehr, sofern 
er sich durch Fleiß und Geschick auszeichneter Am besten 
verdienten die Gefangenen dort, wo sie in Stüäckarbeit 
beschäftigt und in Stücklohn abgefunden wurden. In solchen 
Fällen pflegte man vertraglich einen Mindestlohn festzu- 
setzen, von diesem erhielten die Gefangenen 25 v. H., 
von dem aber, was sie über diesen hinaus verdienten, standen 
ihnen s§0, ja 75, in schwierigsten Fällen sogar 100 v. H. 
als Abfindung zu. Für Uberstunden= und Sonntagsarbeit 
bezahlte der Arbeitgeber bestimmte Zuschläge, wenn solche 
auch von seinen freien Arbeitern gefordert wurden. 
Um auch die Unteroffiziere zur Arbeit zu reizen, er- 
hielten sie nicht, wie die Mannschaften, 25, sondern 40 v. H. 
des vereinbarten Lohnsatzes als Abfindung. Es sind Fälle 
vorgekommen, wo Kriegsgefangene auf diese Weise die 
Woche einen Reinverdienst von 30 Mark aufzuweisen ge- 
habt haben. Millionen und Abermillionen deutschen Geldes 
sind so in die Taschen der Kriegsgefangenen gewandert im 
Laufe des langen, langen Krieges; wichtiger aber ist das, was 
sie dem deutschen Volbe in so schwerer Zeit geleistet haben. 
§5. Im Dienste des Handwerkes und Gewerbes 
Die Lohnbedingungen und Abfindungsweisen, die für die 
im Bergbau und in der Industrie beschäftigten Kriegs- 
gefangenen galten, sind im großen und ganzen auch für die 
im Handwerk und Gewerbe tätigen maßgebend gewesen. 
Auch diese beiden Zweige der Volkswirtschaft litten, je 
länger der Krieg währte, desto mehr unter dem Mangel 
heimischer Arbeitskräfte und waren daher auf die Einstellung 
Kriegsgefangener angewiesen. Es dürfte wohl kaum eine 
Art von Handwerk oder Gewerbe betrieben werden, die 
davon ausgenommen werden könnte; selbst das Barbier- 
gewerbe nicht, dem allerdings aus grundsätzlichen Bedenken 
heraus mur ganz vereinzelt und vorübergehend fremde Kräfte 
überlassen wurden. 
In der Hauptsache handelte es sich darum, die Betriebe 
des Kleingewerbes, die infolge des Krieges ihren Leiter 
oder ihre einzige und letzte Hilfskraft verloren hatten, 
durch Abgabe von Kriegsgefangenen aufrecht zu erhalten. 
Dafür kamen meist nur kleinste Abteilungen und ganz zu- 
verlässige, erprobte Gefangene, besonders Deutschrussen, 
in Frage. 
Also auch Handwerk und Gewerbe standen fast aus- 
schließlich im Zeichen der Kriegswirtschaft. Denn durch die 
hier beschäftigen Kriegsgefangenen nur wurde es vielfach 
möglich, daß bleine Handwerker auf dem Lande und in 
Kleinstädten, wie Schmiede, Stellmacher und Sattler, zu- 
zeiten der Feldbestellung und der Ernte die besonders dring- 
lichen Bedürfnisse der Landwirtschaft, wie Hufbeschlag, Aus- 
besserung der Acker= und Wirtschaftsgeräte uff., befriedigen 
konnten. Viele Handwerker und Gewerbler, wie Schlosser, 
Tischler, Böttcher, Drechsler, Gerber u. a., (rbeiteten über- 
haupt im unmittelbaren oder mittelbaren Dienste der Kriegs- 
rüstung. Andere, wie Bäcker, Fleischer, Schuster, sorgten 
für die Unerläßliche Befriedigung der allgemeinen Nahrungs- 
und Lebensbedürfnisse. Namentlich den Schuhmachern 
mußten für die infolge des Ledermangels sich immer schwie- 
riger gestaltenden Ausbesserungsarbeiten i in Stadt und Land 
Gefangene in großer Zahl überlassen werden, während solche 
aus den Sattlerbetrieben und Schuhfabriken aus gleichem 
Grund zeitweilig zurückgezogen wurden.
	        
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