Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

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ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen 
Nöten, die uns getroffen haben. Darum fürchten wir uns 
nicht, wenngleich die Welt unterginge.“ Nun ordnete altem 
Brauche folgend das Evangelisch-Lutherische Landeskonsi- 
storium — ähnlich das Apostolische Vikartat in Dresden 
für die Katholiken — einen Landesbuß= und Bettag am 
7. August an. Die Gotteshäuser waren überfüllt; zahl- 
reich drängten sich auch Männer und Frauen herzu, die 
vordem nach Christentum und Kirche wenig gefragt hatten. 
Wie mancherlei ernste Gedanken mögen laut geworden sein, 
wenn nach der altfeierlichen Liturgie der Prediger versuchte, 
am heiligen Orte mit erhobener Stimme das auszusprechen, 
was alle Herzen bewegte oder bekümmerte. Gewiß auch 
Außerungen sittlichen Schmerzes und ehrlicher Entrüstung 
über das als ungerecht empfundene Vorgehen der Feinde 
gegen uns! Aber vornehmlich war es zweierlei, was immer 
und überall von den Kanzeln und vom Altar ergreifend 
und eindringlich widerhallte: der Ruf zu innerer Einkehr 
und Buße des ganzen Volbes wie jedes einzelnen, um jetzt, 
im Angesicht der Ewigkeit, jeden Gefühls unvergebener 
Schuld von vergangenen Tagen her ledig, in freiem Auf- 
blick zu Gott getrosten Muts tun und leiden zu kbönnen, 
was allen auferlegt war; sodann aber die gläubige Zuversicht: 
„Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von welchen 
mir Hilfe kommt“ (Pfalm 121), und auf solchem Grunde 
die innere Gewißheit: „Wir haben allenthalben Trübsal, 
aber wir ängsten uns nicht. Wir leiden Verfolgung, aber 
wir werden nicht verlassen“ (2. Kor., 4). Wie unendlich 
vielen war es damals lebendigstes Herzensbedürfnis, aus 
geistlichem Munde einen Spruch des Segens zu empfangen, 
ehe sie hinaus zum harten Handwerk des Krieges in Todes- 
gefahr zogen, und auch über ihr geliebtes Volk, das einer 
ungewissen Zukunft entgegenging, die Verheißung göttlichen 
Segens zu hören; viele Tausende schlossen sich in der Feier 
von Beichte und heiligem Abendmahl eng aneinander zu einer 
geläuterten Seelen= und Herzensgemeinschaft, die auch der 
Tod nicht scheidet. Eins sei ausdrücklich bemerkt: Verehrung 
des „deutschen Gottes“ war nicht der Inhalt der kirchlichen 
Verkündigung; das Wort flatterte von außen nach Sachsen 
herein; so gut es gemeint war, christliche Prediger lehnten 
es mit Recht ab. — 
Dieser Grundton religlöser Erhebung erklang weit bin- 
aus über die Kirchen und Bethäuser; über der ganzen 
Volksbewegung von 1914 lag religiöse Weihe gebreitet. 
Schon die Wahl der am meisten gesungenen Lieder zeigt dies 
an. Nicht das freundlich tröstende: „Lieb Vaterland, magst 
ruhig sein!“, sooft es auch angestimmt wurde, traf den 
tiefsten Seelenton, sondern Luthers mächtiges Trutzlied „Ein 
feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Wasfen!“ 
mit dem zornig verächtlichen, nun zur leibhaftigen Gegen- 
wart gewordenen dritten Vers: 
„Und wenn die Welt voll Teufel wär' 
Und wollt' uns gar verschlingen, 
So fürchten wir uns nicht so sehr, 
Es muß uns doch gelingen.“ 
Und immer von neuem erscholl die altertümliche Weise 
des „Niederländischen Dankgebets“ in ihrem markigen 
Rhythmus: 
„Wir treten zum Beten vor Gott den Gerechten, 
Er waltet und haltet ein strenges Gericht; 
Er läßt von den Schlechten nicht die Guten knechten, 
Sein Name sei gelobt, er vergißt unser nicht!“ 
Einst in einer kleinen Schar während der harten, wilden 
Jeit der niederländischen Freiheits= und Glaubenskriege ent- 
standen, wurde es jetzt zumal mit der prächtigen Steige- 
rung in gesammelter Kraft am Schluß „Herr, mach uns 
freil“ der untvillkürlich gefundene Ausdruck tiefsten Füh- 
lens eines Millionenvolks. Die Vorliebe für solche Terte 
und Gesänge sind ein klares und überaus wertvolles Zeug- 
nis damaligen Volksempfindens. Nicht Selbstgerechtigkeit 
spricht daraus; wohl aber das unzweideutige Bewußtsein 
des unbefleckten Gewissens, das von keiner Mitschuld am 
Ausbruch des Krieges, an dem Beginn des fürchterlichen 
Blutvergießens weiß. Die Lieder wurden von Protestanten 
und Katholiken gesungen; denn die religiöse Bewegung war 
ganz allgemeiner Art, wenn sich auch dabei mannigfache 
Formen der Andacht offenbarten. Christen der verschiedenen 
Konfessionen nahmen daran teil, ebenso Anhänger des mo- 
saischen Glaubens. Auch eine Religiosität auf Grund rein 
philosophischer Weltanschauung trat in die Erscheinung: die 
Hinwendung zu dem ewigen Urgrund des Seins, zu dem All- 
Einen, zu der unerforschlichen und unaussprechbaren Macht, 
die über dem Geschick aller Völker und einzelnen waltet, 
zu dem Göttlichen, das in der Entwicklung der Menschheit 
zu höheren Formen offenbar wird. Daneben gab es freilich 
auch eine religiöse Unterströmung, in welcher volkstümliche 
Vorstellungen naivfter Art, ja selbst massiv abergläubische 
einhertrieben. Da sie nur im geheimen floß, war sie viel- 
leicht viel breiter und stärker, als dies scheinen mochte. Im 
Ausschauen nach wunderbarer Hilfe wurden Himmelsbriefe 
geschrieben oder mit Amuletten und ähnlichen Mitteln bei- 
nahe zauberhafter Art Gefeitsein und Sicherung gegen die 
pfeifende Kugel des Feindes, gegen Feuers= und Wassers- 
not oder anderes Ungemach gesucht. Prophezeiungen gingen 
um, und selbst die Astrologie meldete sich, um die Zukunft 
aus den Sternen zu lesen. Ubrigens ist es unverkennbar, daß 
sich ein nicht ganz geringer Teil gerade der sächsischen Bevöl- 
kerung in kühler Verständigkeit oder unter dem Einfluß der 
Lehren des „wissenschaftlichen Sozialismus“ dem religiösen 
Empfinden verschloß; selbst gegen die Darbietung von Dich- 
tungen mit christlichem Inhalt wurde bisweilen eine merk- 
liche Zurückhaltung beobachtet. Aber auf das Ganze gesehen, 
war die religiöse Erregung stark und tief; in ihren mancher- 
lei Ausprägungen bildete sie eine überaus charakteristische 
Erscheinungsform des Geistes von 1914 in Sachsen. 
Der Religion als schöpferische Seelenkräfte nahe ver- 
wandk sind Dichtung und Musik; auch die auf wissenschaft- 
liches Erkennen gegründete Rede vermag, wenn sie ihren 
Gedankenflug in lichte Höhen richtet, ähnliche Wirkungen 
zu erreichen. Darbietungen solcher Art, oft in glücklicher 
Mischung von gesungenem und gesprochenem Wort, waren 
gern angewandt zur Förderung und als Ausdruck der gei- 
stigen Bewegung von 1914. 
Die Stätte im sächsischen Lande, wo auf historischem 
Boden heroische Volksstimmung am stärksten angeregt wird, 
ist das Leipziger Völkerschlachtdenkmal mit seinem mächtigen 
Innenraume, dem „Dom“, dessen Maßverhältnisse und 
Formensprache vor allem eins ausdrlicken: Größe. Hier 
an die grauen Steine gelehnt stehen und, während die Er- 
innerung an Völkerschicksal und Opferdienst der Gefallenen 
die Seele füllt, in stiller Versunkenheit den lang hinhallenden 
Klängen eines Requiems, eines innigen Gebetsliedes, eines 
markig frohen Bekenntnisses zum Vaterland lauschen, wie 
könnte unser Fühlen edler und schöner über irdisches Leid 
und Wünschen emporgetragen werden in Sphären, wo wir 
Ewigkeitsluft zu atmen glauben! — 
Weltliche Vorstellungen auf Bühnen und in den Sälen, 
die nur literarischem Genuß oder dem Vergnügen dienten, 
mochten vielen in der ersten Zeit nach Kriegsbeginn kaum 
erträglich erscheinen; nur der soziale Gedanke, nicht Hun- 
derten von Künstlern die wirtschaftliche Oaseinsgrundlage 
zu verkümmern, erleichterte es, von der Forderung abzu- 
stehen, daß die Musikkapellen schweigen und die Schauspiel- 
häuser geschlossen werden sollten, während unsere Brüder 
und Söhne draußen bluteten und den Todesweg beschritten. 
Dem großen Zuge der Zeit kam man nach, indem vater- 
ländische Stoffe bei der Aufführung von Bühnenstücken 
bevorzugt wurden; so gab man gern Körners Zriny, Schillers
	        
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